Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)
und Kambodscha zu suchen.
»Darf ich fragen, was du da machst?«, fragt Magnus, der hinter mir auf dem Sofa liegt und genau sieht, was auf dem Bildschirm passiert.
»Flipp nicht wieder aus!«
Magnus springt wie ein Klappmesser vom Sofa auf.
»Sunny!«, knurrt er und packt mich fest von hinten an der Schulter.
»Nur kurz!«, schnauze ich und schiebe seine Hand weg. Dabei kratze ich ihn aus Versehen, aber Magnus merkt es nicht, weil er sich so aufregt. Ich starre auf seinen Handrücken, auf dem sich ein dünner Blutstrich bildet.
Er seufzt. Dann lässt er sich auf den Stuhl neben mir fallen.
»Wie willst du das anstellen: Mit dem Dia in der Hand die Leute auf der Straße nach der Krankenschwester fragen?« So, wie Magnus das sagt, klingt mein Vorhaben lächerlich.
»So blöd bin ich auch nicht …!«
Magnus zieht mich zu sich und nimmt meinen Kopf in seine Hände. Seine Augen ziehen sich zu Schlitzen zusammen, dann steht er auf und ruft: »Woher weißt du, wie sie heißt?«
Ich muss lachen, weil Magnus sich wie ein Genie vorkommt. Von dem Telefonat mit Dr. Borchert hatte ich ihm erzählt, aber nicht, dass ich Lamais Namen weiß.
»Hast du mal an sie gedacht und dass es ihr total peinlich sein könnte, dich zu treffen?«, fragt er.
»Ich will sie doch nicht fertigmachen oder sie für irgendetwas beschuldigen.«
»Ein Flüchtlingslager – das sind wirklich wunderschöne Urlaubspläne!«
»Khao-I-Dang ist längst geschlossen. Ich will mir doch nur das Grenzgebiet anschauen und anschließend ein bisschen rumreisen. Außerdem möchte ich eine Patenschaft für ein kambodschanisches Waisenkind übernehmen oder wie mein Vater Spenden sammeln.«
»Das finde ich endlich mal eine gute Idee, aber trotzdem gurkst du da nicht allein rum. Abgesehen davon lass ich nicht zu, dass du deine Prüfung schwänzt.«
»Berlin-Tegel nach Phnom Penh via Bangkok für 1048 Euro …!«, verkünde ich stolz mein Suchergebnis, als ich wieder auf den Bildschirm des Computers gucke.
»Hast du auf dem Dachboden auch den alten Sparstrumpf deines Vaters gefunden?«
»Ich überziehe mein Konto, das ist es mir wert.«
Magnus rauft sich mit beiden Händen die Haare. »Ich rufe jetzt deine Mutter an.«
Ich nehme sofort die Finger von der Maus.
»Du brauchst gar nicht so genervt zu gucken«, sagt Magnus. »Du willst deine Zukunft hinschmeißen und auf den Spuren deines Vaters durch ein minenverseuchtes Land spazieren – das läuft nicht.«
»Die Arbeit schreibe ich doch, aber so eine Präsentation kann man nachholen.«
»Was ist, wenn das auffliegt? Nachher fällst du durch und dann war das komplette Studium für die Tonne.«
»Unsinn. Meine Mutter könnte mir ein Attest schreiben und ich hole die Präsentation in sechs Monaten nach.«
»Du drehst es dir hin, wie du es haben willst. Meine Meinung interessiert dich gar nicht. Deine Mutter schreibt dir ein Attest – für was denn? Du musst dir beide Arme und Beine brechen, damit du so was abblasen kannst.«
»Was ist wichtiger? Dass ich mein Puzzle lege oder ein Stück Papier bekomme, mit dem ich trotzdem keinen Job finde?«
»Das Zeugnis ist wichtiger, weil du dann den Rest deines Lebens in Ruhe puzzeln kannst. Zieh dein Studium durch. In den Semesterferien fliegen wir in den Urlaub.«
Mir reicht es, ich werde böse. Was erlaubt sich Magnus? Er ist doch nicht mein Vormund.
»Wer sagt, dass ich dich dabeihaben will«, zische ich.
»Dein Vater hat, so wie ich es verstanden habe, nicht am Strand unter Palmen gearbeitet, sondern in einer Grenzstadt zu einem Land, in dem Jahrzehnte lang Krieg und Schrecken herrschten, und musste dort Kindern die Beine amputieren. Du bist naiv!«
»Vergiss es, ich fahre allein.«
»Ich gebe dir fünf Sekunden, bis ich wirklich deine Mutter anrufe und ihr erzähle, was ihre Tochter vorhat.« Magnus’ Stimme ist jetzt sehr laut.
»Das ist Petzen. Und Erpressung!«
»Nein, das ist was ganz anderes, aber du begreifst es nicht.«
»Was soll der Aufstand? Ich komme allein klar, das hat mein ganzes Leben funktioniert. Ich brauche keinen Mann, der für mich Verantwortung übernimmt«, spotte ich und bekomme solche Hassgefühle, dass ich am liebsten sofort aus der Wohnung stürmen würde. Vorher schmeiße ich noch einen Teller an die Wand.
Magnus steht vor mir und schüttelt den Kopf. »Mann, Mädchen – du checkst es nicht, oder?«
»Doch, ich checke es. Du stehst mir im Weg!« Meine Unterlippe schnallt nach vorn, ich ziehe eine Schnute.
»Warum,
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