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Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Titel: Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa von Heyden
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das hier nicht nur die Sunny-Schulz-Show ist.«
    »Du kannst das nicht verstehen – dein Vater hat sich ja auch nicht umgebracht!«, brülle ich ihn an. Ein paar Leute drehen sich um, aber Magnus bleibt ruhig und beißt in seinen Burger. Die Gurkenscheibe rutscht zwischen den Brötchenhälften heraus und klatscht auf den Boden vor meine Füße.
    »Ach so, ist das jetzt die Ausrede für dein Verhalten? Deine Mutter hat angerufen und gefragt, ob du gut angekommen bist. Ich musste sie anlügen und behaupten, dass der Zug Verspätung hatte«, sagt er mit vollem Mund.
    »Eine Ausrede? Ich will etwas machen, ich habe mein ganzes Leben lang nichts gemacht.«
    »Und ich dachte, du willst mit mir zusammen sein.«
    »Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ich will einfach hin«, sage ich und schaue ihm fest in die Augen, weil ich weiß, dass er weiter versuchen wird, es mir auszureden. Wir stehen auf dem Gleis, Leute drängen an uns vorbei und ich will, dass wir auch nach Hause gehen. Magnus stellt sich mir in den Weg.
    »Ist klar: erst nach Lingen, jetzt nach Thailand beziehungsweise Kambodscha …«, blafft er, so als hätte ich gerade verkündet, mir das Gesicht tätowieren lassen zu wollen. Seine Schlagader zeichnet sich an seinem Hals ab, das macht mir Angst.
    »Reg dich nicht so auf. Jetzt bin ich doch hier.« Ich streichle über seinen Arm.
    »Auf was für einem Erinnerungstrip bist du? Dass du die Unterlagen lesen wolltest, verstehe ich. Aber jetzt drehst du durch!«
    Meine Unterlippe beginnt zu zittern, gleich fange ich wieder an zu weinen. Ich möchte Magnus umarmen und küssen, mir hängt dieses Wochenende in den Knochen, die Briefe, die Dias, die Info mit der Krankenschwester – all die Jahre als Drachenkind. Ich kippe nach vorn und lehne nur meine Stirn an seine Schulter.
    »Ich muss, ich muss …«, murmle ich in seinen Parka.
    »Das habe ich befürchtet«, sagt Magnus. Er knüllt das Hamburgerpapier zusammen und stopft es in seine Jackentasche. Dann schlingt er seine Arme um mich und ich meine um ihn.
    »Was willst du der Frau sagen, wenn du sie triffst? ›Hallo, ich bin die Tochter von Ihrem Ex-Lover aus Deutschland‹?«
    »Keine Ahnung. Ich will sie gar nicht richtig treffen. Nur mal aus der Ferne sehen …«
    »Was versprichst du dir davon?«
    »Mein Vater war zur dieser Zeit scheinbar glücklich. Was hatte sie, was wir nicht hatten?« Ich schluchze.
    »Hast du mal daran gedacht, dass dein Vater damals vielleicht eine manische Phase hatte? Deine Schwester war ein Jahr alt und du gerade mal zwei und er fährt für acht Wochen in ein Krisengebiet und lässt deine Mutter mit euch Kindern allein – nach einem klaren Kopf klingt das nicht.«
    Ich stehe vor Magnus und kann nicht fassen, was er da sagt. Dass nicht nur die Geschichte mit der Krankenschwester, sondern der gesamte Trip fragwürdig gewesen sein könnte, auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Ich weine bitterlich in den Ärmel von Magnus’ Jacke.
    »Du tust mir so leid«, sagt er und ich höre an seiner Stimme, wie traurig er für mich ist. »Dein Puzzle wird nie fertig.«
    Das ist die Wahrheit. Ich werde nie erfahren, was mit meinem Vater wirklich passiert ist und warum. Ich weiß nur, dass er krank war. Diese Ungewissheit ist nicht auszuhalten. Ich könnte platzen, so wütend macht es mich. Ich klammere mich an Erinnerungen, Fotos, einen Stapel vergilbtes Papier und eine Kassette mit Meeresrauschen. Er kann doch nicht gewollt haben, dass er eine Tochter mit so vielen Fragen im Kopf hinterlässt? Aber auch darauf werde ich nie eine Antwort bekommen. Mein Vater ist tot – weg.
    Kaum dass ich mit Magnus in seiner Wohnung angekommen bin, ruft meine Mutter an.
    »Ja, Mama, ich bin gut angekommen.«
    »Was war denn mit dem Zug los?«
    Ich will nicht mehr lügen.
    »Ich war in Lingen, Mama.«
    »Ach, Schatz.«
    »Bist du böse?«
    »I wo! Ich hätte allerdings gewettet, dass es dich ans Meer zieht und du in Richtung Norderney startest.«
    »Ich liebe dich, Mama.«
    »Ich dich auch. Das geht nie weg!«
    Sie fragt mich nicht, ob ich in dem Haus war. Für meine Mutter ist Lingen tabu.
    Am nächsten Morgen sitze ich im Schlafanzug am Computer und versuche, die ersten Seiten meiner Arbeit zu schreiben. Ich drehe meine Haare zu einer Schnecke hoch und fixiere sie mit einem Bleistift. Nach zwei Stunden sind Deckblatt, Inhaltsangabe und die Einleitung fertig. Ich kann nicht widerstehen und beginne im Internet nach Flügen und Reiseinfos über Thailand

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