Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
tiefe Sorge.
»L auf schon, los!«
Als der Junge verschwunden war, stellte Taran das Sturmgewehr auf Einzelfeuer um. Aus dieser Entfernung machte es keinen Sinn, mit Dauerfeuer herumzuballern. Dann legte er die Kalaschnikow wieder an und nahm den Verräter ins Visier. Mit jeder Sekunde, die er verstreichen ließ, wuchs das Risiko, dass er sein Ziel verfehlte. Doch jede Sekunde bedeute auch wertvollen Zeitvorsprung für Gleb.
Kurz vor dem Tor winkte der Fußgänger und rief den Wachen etwas zu – sicher eine Parole. Von wegen taubstumm … Vom Wachturm schallte ein Warnruf zurück.
Jetzt durfte der Stalker keine Sekunde mehr zögern. Er hielt den Atem an, passte den Moment zwischen zwei Herzschlägen ab und drückte gefühlvoll den Abzug. Durch den Rückstoß verschwamm das Bild für einen kurzen Moment, dann sah Taran den Verräter im Schnee liegen.
Der Schuss hatte einen Schwarm mutierter Vögel aufgescheucht, die auf einer durchhängenden Stromleitung saßen. Mit ohrenbetäubendem Gezeter flogen die flinken Bestien auf und verschwanden hinter den Häuserdächern. Das Spektakel zeigte Wirkung: Innerhalb der Barrikade heulte eine Sirene los. Auf mehreren Wachtürmen flammten Scheinwerfer auf und leuchteten in die zunehmende Dämmerung.
Den Weg vom Haus zum Tor legte Taran in Rekordzeit zurück. Als er die bedrohliche Hektik auf den Wachtürmen bemerkte, drehte er sich noch einmal zu dem neunstöckigen Wohnklotz um und schoss das halbe Magazin leer, als verteidigte er sich gegen unbekannte Verfolger. Die Finte funktionierte: Die Scheinwerferstrahlen schwenkten über die Häuserfenster und Gassen und ignorierten die einsame Gestalt unmittelbar vor der Barrikade.
Der Stalker warf sich neben dem Leichnam des Fußgängers auf die Knie und begann, die Taschen seines blutverschmierten Overalls zu durchwühlen. Es war ziemlich ungemütlich, sich direkt unter den Wachtürmen, von denen mehrere Gewehrläufe zielten, im Schnee zu wälzen. Blieb nur zu hoffen, dass seine Bemühungen wie Erste Hilfe aussahen, obwohl der Bärtige sie natürlich nicht mehr brauchte. Taran musste den Leichnam auf den Rücken drehen. Dabei sah er unfreiwillig das Gesicht des Toten, das sein präziser Schuss verunstaltet hatte. Ein heil gebliebenes Auge schaute den Mörder vorwurfsvoll an.
Zwinkert der noch zum Abschied …?
Bevor seine Fantasie endgültig mit ihm durchgehen konnte, konzentrierte sich Taran auf die Suche. Endlich ertasteten seine Finger das zusammengeschnürte Bündel. Weitere wertvolle Sekunden verrannen, während er die Landkarten des Fußgängers im Anzug verstaute.
Als ein Wachposten, der nun doch Verdacht geschöpft hatte, von oben etwas herunterbrüllte, hatte der Stalker die Hände bereits wieder an der Waffe. Doch der Ölsucher war auf der Hut.
Ein Schuss. Noch einer! Vor Tarans Füßen spritzten weiße Fontänen auf, und in unmittelbare Nähe wurde die Schneedecke wie ein Schweizer Käse durchlöchert. Jetzt war klar, dass die zunächst sorglosen Hausherren es auf ihn abgesehen hatten.
Mit einem dezenten Knall löste sich die Granate unter dem Schaft und verwandelte den Wachturm in einen Feuerball, der einen roten Lichtschein auf die Barrikade warf. Die kurzzeitige Verwirrung bei den Ölsuchern reichte dem Stalker, um im Vollsprint aus dem freien Raum vor dem Tor zu flüchten.
Als kurz darauf mehrere Gewehre loshämmerten, hatte er sich bereits hinter dem Wrack eines PAS -Omnibusses in Deckung geworfen und wartete auf einen passenden Moment zur Fortsetzung der Flucht.
Der Bus dröhnte und vibrierte im Kugelhagel. Das nervenzerreißende Pfeifen der Geschosse schien überhaupt kein Ende zu nehmen. Aus dem morschen Blechkadaver spritzten Rostfontänen und regneten wie brauner Zucker auf die umliegenden Schneewehen herab. Das Wrack verwandelte sich zusehends in ein weitmaschiges Sieb, das kaum mehr Deckung bot. Zu allem Überfluss heulten nun auch die Motoren der Grader auf. Die improvisierten Torflügel setzten sich in Bewegung und machten die Durchfahrt frei.
Unter den Mauern des Ordens wurde es dem Stalker allmählich zu heiß. Er schob sein Gewehr auf den Rücken und rannte auf gut Glück los. Als ihm die ersten Kugeln um die Ohren zischten, zog er instinktiv den Kopf ein, sprang wieselflink über einen windschiefen Zaun und verschwand zwischen einer Ansammlung verrotteter Scheunen. Danach durchquerte er ein kurzes Labyrinth aus eingestürzten Ziegelbauten, und erst als er die Ecke eines Wohnhauses erreicht
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