Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Blechplatten, Sandsäcken, Ziegeln und allen möglichen Bauabfällen. Das Gelände innerhalb dieses Schutzwalls war komplett mit Eisenbahnwagen zugestellt: Passagierwaggons, Behälterwagen, Schüttgutwagen, Kühlwagen und so weiter … Doch den überwiegenden Teil machten Züge mit Kesselwagen aus. Alle waren akkurat vom allgegenwärtigen Rost befreit und sorgfältig mit frischer Farbe markiert.
»Duck dich«, flüsterte Taran und kauerte sich neben der Dachbrüstung nieder. »Siehst du die Wachtürme an den Ecken? Von dort aus könnten sie uns entdecken.«
»Was sind das für Leute?«, fragte Gleb und spähte gebannt auf das Lager hinunter.
»Wenn du mich fragst, ist das dieser Ölsucher-Orden, von dem unser ›Stadtführer‹ gefaselt hat.«
»Aber hat der Fußgänger nicht erzählt, dass der sein Lager in der Nähe von Wologda aufgeschlagen hat?«
»Du hast doch selbst gesagt, dass man ihm nicht trauen kann.« Der Stalker rollte sich auf den Rücken und befestigte das Zielfernrohr an seiner Kalaschnikow. »Der Typ ist genau so ein Dreckskerl wie unserer ehemaliger Bekannter Ischkari. Mit der ›Ameise‹ hat er dem Orden fast zwanzig Tonnen Diesel verschafft. Und das frei Haus …«
Je länger der Junge die merkwürdige Siedlung betrachtete, desto mehr Details fielen ihm auf. Die Personenwagen dienten offenbar als Wohnbaracken. Jeder Einzelne verfügte über einen sauber aus Brettern zusammengenagelten Treppenaufgang.
An den Dächern verliefen Kabel – ein sicheres Indiz für eine funktionierende Stromversorgung. Aus dem Kamin eines niedrigen Gebäudes quoll grauer Rauch. Kein Zweifel, dass dort im Keller ein Dieselgenerator lief. Oder auch mehrere.
Gleb entdeckte auch die Quelle für das rätselhafte Geläut. Unter dem Vordach eines altersschwachen Restaurantwagens, der anscheinend als Kantine benutzt wurde, hing an einem Draht ein Schienenfragment. Mithilfe dieses improvisierten Gongs wurden die Ölsucher also zur Suppe gerufen.
»Sie hätten sich auch gleich auf offenem Feld verschanzen können«, sagte Gleb verblüfft. »Warum haben sie sich nicht in einem der Wohnviertel eingerichtet, wenn sie schon keine Angst vor der Strahlung haben?«
»Die Strahlung ist hier nicht übermäßig hoch. Damit kann man leben. Da steckt was anderes dahinter.« Mit dem Auge am Zielfernrohr schwenkte Taran den Lauf der Kalaschnikow an der improvisierten Außenmauer entlang. »Was glaubst du, warum sich die Jungs den Rangierbahnhof ausgesucht haben? Für die ist das nicht einfach nur ein Eisenbahnfriedhof, sondern so eine Art Tresor. Jede Wette, dass die Tanks der Kesselwagen randvoll sind. Erdöl, Diesel, Benzin – alles, was sie bis jetzt zusammengerafft haben, wird hier bewacht. Und der Höhe der Mauer nach zu schließen, hat sich der Orden nicht gegen Menschen verbarrikadiert.«
Im selben Moment drang irgendwo vom Stadtrand ein animalisches Geheul ins Zentrum herüber.
»Wir müssen die anderen warnen, dass …«
»Schau!«, unterbrach der Junge seinen Vater und zupfte ihn am Ärmel.
Von der Wand des benachbarten Hauses löste sich ein verschwommener Schatten. Durch die Zieloptik erkannte Taran sofort die hagere Gestalt des Fußgängers. Mit verstohlenen Blicken nach links und rechts trippelte er direkt auf das Lager der Ölsucher zu.
»Schau einer an, unser Schwerverletzter hinkt ja gar nicht mehr …«
Als der Stalker die Marschroute des Flüchtigen weiter verfolgte, fiel sein Blick auf zwei Wachtürme. Dazwischen standen auf einem schmalen Platz dicht nebeneinander zwei imposante Grader. Anstelle von Scharen waren an ihrer Frontpartie massive Platten aus Stahlblech angeschweißt. Die bewegliche Konstruktion diente als Einfahrtstor.
»Wir müssen abhauen!«, flüsterte Gleb aufgeregt. »Bevor es zu spät ist!«
»Es ist schon zu spät. Er wird seinen Komplizen gleich erzählen, wo die ›Ameise‹ steht, und das war’s dann für uns. Sie umzingeln das Werk, und wir kommen nicht mehr weg.« Der Stalker traf blitzartig eine Entscheidung und wandte sich an Gleb. »Pass auf, wir machen es anders. Du läufst jetzt, so schnell du kannst, zurück und sagst den anderen, dass sie sich sofort vom Acker machen sollen. Ich werde in der Zwischenzeit dem Fußgänger das Maul stopfen. Damit gewinnen wir Zeit. Und die Ölsucher müssen eine Stecknadel im Heuhaufen suchen.«
Gleb, der schon zur Treppe gerannt war, blieb noch einmal stehen und blickte sich unentschlossen nach seinem Vater um. Aus seinen Augen sprach
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