Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
und ging mit eingeschalteter Taschenlampe am Wasserreservoir entlang.
»Wenn man zu Besuch kommt, nimmt man eigentlich die Kopfbedeckung ab«, grummelte Karpytsch, der über das dreiste Benehmen des Gastes entrüstet war. »Woher kommst du überhaupt?«
Sicher einer aus der Führungsriege, wurde dem alten Mann etwas verspätet klar. Niemand anders hätte sich so selbstherrlich aufgeführt.
Karpytsch trippelte hinter dem Besucher her, verschränkte devot die Hände und setzte ein serviles Lächeln auf. Doch der Mann im Mantel beachtete ihn überhaupt nicht und leuchtete mit seiner Taschenlampe die feuchten Wände des Bunkers ab.
»Eine Kontrolle?«, fasste sich der Alte schließlich ein Herz. »Bei mir hier unten ist alles in bester Ordnung. Dienstzeiten, Sichtprüfungen – streng nach Vorschrift, wie es sich gehört …«
Der Besucher stolperte an einer Treppenstufe und hielt sich fluchend am Geländer fest.
»Obacht, mein Lieber, immer schön auf den Boden schauen«, zerfloss der alte Karpytsch in Sorge. »Das Wasser ist eisig. Wenn du ins Becken fällst, geht das womöglich böse aus. Ich könnte dich nicht mal retten, weil ich nicht schwimmen kann.«
»Warum ist es hier so finster wie im Arsch eines Mutanten«, schimpfte der Fremde verärgert und blieb stehen. »Oder ist das auch Vorschrift?!«
»Äh, nein, aber das Licht bringt mir nichts«, rechtfertige sich der Mechaniker. »Ich sehe sehr schlecht. Deshalb orientiere ich mich lieber mit dem Tastsinn.«
»Soso. Dann taste dich mal voran und zeig mir, wo die Notablassanlage ist!«
Der alte Mann zog verblüfft die Augenbrauen hoch und sah den Besucher ungläubig an. In all den Jahren hatte sich noch nie jemand für diese Sicherheitseinrichtung interessiert. Viele wussten noch nicht einmal, welchen Zweck die Schleuse erfüllte, die erst lange nach der Errichtung des Bunkers eingebaut worden war. Dabei hatten die jetzigen Herrscher – das musste man zugeben – einen Sinn für praktische Lösungen bewiesen.
Als man mit dem Abbau des Kohleflözes begann, hatte man sich überlegen müssen, wie man potenzielle Feuer in den Schächten bekämpft, denn ein Großbrand hätte zur Auslöschung der gesamten Siedlung führen können. Die findigen Ingenieure waren auf die geniale Idee gekommen, dafür das Grundwasser aus den Speicherbecken einzusetzen. Da sich diese unmittelbar über dem Hauptförderschacht befanden, hatte es nicht lange gedauert, einen Ablaufkanal für das Wasser zu bohren. Seither gab es in Karpytschs Reich noch eine weitere Schließarmatur, die er regelmäßig kontrollieren und warten musste.
Gehorsam schlurfte der alte Mann zu dem Handrad, das in der Wand verankert war, drehte sich dienstbar zu seinem Besucher um und wartete auf weitere Anweisungen.
»Was glotzt du? Mach die Schleuse auf!«, zischte der Fremde unter der Kapuze hervor.
»Wie … aufmachen?«, stammelte der Mechaniker. »Dort unten sind doch die Kohlearbeiter! Die sind mitten in der Schicht!«
Der Besucher griff unter seinen Mantel und tastete nach seinem Pistolenhalfter.
»Oder ist ein Brand ausgebrochen?«, fragte Karpytsch. »Warum gab es dann keinen Feueralarm?«
»Mach die verdammte Schleuse auf, alter Idiot!«, blaffte der Fremde.
Auf die Stirn des Mechanikers zielte ein Pistolenlauf. Doch der Greis rührte sich nicht vom Fleck. Stattdessen starrte er die verschwommene Gestalt im Mantel nur ungläubig an und blinzelte kurzsichtig.
»Ohne Befehl des Obersts kann ich das auf keinen Fall machen!« Karpytsch schüttelte fieberhaft den Kopf. »Ich müsste erst beim Stab nachfragen …«
Der Fremde guckte verblüfft zwischen dem Alten und seiner Pistole hin und her, dann fuchtelte er mit den Händen direkt vor Karpytschs Augen herum.
»Mann, Opa, du siehst ja rein gar nichts mehr … Um so besser. Mit der Schleuse komme ich auch alleine klar.«
Der Besucher zog die lästige Kapuze zurück, packte den Greis und stieß in kurzerhand in den Wasserspeicher. Karpytschs im Lappen gewickelte Füße segelten über den Beckenrand, dann platschte es laut und eine Wasserfontäne spritzte empor.
Nach ein paar Sekunden tauchte der Kopf des Alten wieder an der Wasseroberfläche auf. In Todesangst hatte er den zahnlosen Mund und die Augen weit aufgerissen, sein weißer Haarschopf fiel ihm in nassen Strähnen auf die Stirn …
»Aaah!«, schrie der Ertrinkende prustend. »Hiilf …«
Das vom Rost gebräunte Wasser schwappte in seinen Mund. In den eisigen Fluten hatte der schwache
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