Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
zusammengedrängt und mit nichts als einem Fetzen Sackleinen zugedeckt hatten, empfand Gleb auf einmal abgrundtiefen Hass auf die selbstgerechten Militärs, die sich auf ihrer »Stabsebene« ein schönes Leben machten. Auf diese selbst ernannten Herrscher, die skrupellos Bauernopfer brachten, um die vermeintlich wertvolleren Figuren zu schonen. Gab die Tatsache, dass das Überleben der Menschheit auf dem Spiel stand, gewissen Leuten das Recht, über das Leben anderer zu verfügen? Sollte alles ein so … perverses Ende nehmen?
»Ich habe uns alle da hineingeritten«, sagte der Junge traurig.
»Mach dir keine Vorwürfe. Letztlich hattest du ja recht … Es ist meine Schuld, dass ich dich nicht in meine Pläne eingeweiht hatte.«
Der Stalker gähnte und drehte sich auf die andere Seite.
»Wir haben so einen langen Weg hinter uns gebracht. Und jetzt war alles umsonst …«
»Abwarten«, brummte Taran dösig. »Im Moment bleibt uns nichts, als zu warten.«
»Warten? Worauf?« Der Junge wusste nicht, was sein Vater gemeint hatte.
»Darauf, dass unser lieber Samuil Natanowitsch dem Oberst ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann …«
Gleb platzte natürlich vor Neugier, was für ein Angebot der Stalker meinte, doch dieser hatte sich bereits in Morpheus’ Arme verabschiedet und schnarchte leise.
Müde drehte sich der Junge auf den Rücken, schlüpfte unter das Sackleinen und machte die Augen zu. Doch er konnte nicht einschlafen … Wasser, das an der Decke kondensierte, tropfte herab, fiel auf die Kapuze seiner Bergarbeitermontur und spritzte ihm ins Gesicht. Zum ersten Mal nach mehreren Tagen in der abgestanden Luft des Untergrunds wehte ihm ein Hauch von Frische um die Nase.
Ein Tunnelwind?
Nein.
So roch nur der ungebändigte Wind der oberirdischen Welt. Der Wind der Veränderung …
13
DER FREIKAUF
»Wer ist da?«
Das knarzende Geräusch der eigenen Stimme tat dem alten Mann in den Ohren weh, rollte als jämmerliches Ächzen durch das Gewölbe des weitläufigen Raums und verhallte irgendwo in der Dunkelheit. Der Mechaniker tastete mit der Hand nach dem Riegel. Das Eisen fühlte sich kalt und rau an. Außerdem vibrierte es ganz leicht – im benachbarten Wasserspeicher war offenbar die Aufbereitungsanlage in Betrieb.
Die läuft aber lange heute, dachte er und runzelte die Stirn.
Die jahrelange, beschwerliche Arbeit in den feuchten und finsteren Stollen des Wasserspeichers hatte dem alten Mann die Gesundheit ruiniert. Durch das ständige Vibrieren und Rumoren der Maschinen schmerzten seine arthritischen Gelenke und machten ihm immer mehr zu schaffen. Erleichterung brachten nur die wenigen Stunden nächtlicher Ruhe, wenn die Aggregate abgeschaltet wurden, um an der Wasseraufbereitungsanlage, die sich über mehrere Etagen erstreckte, routinemäßige Wartungsarbeiten wie Filter- und Ölwechsel durchzuführen.
In diesem entlegenen Winkel der Versorgungsebene von Jamantau waren nie viele Menschen zugange. Die Grundwasserspeicher, von denen jeder tausend Kubikmeter fasste, bedurften keiner aufwendigen Wartung. Man musste nur ein Auge auf die unkomplizierte Anlage haben und den Wasserpegel in den Behältern kontrollieren. Deshalb hatte man den betagten Flüchtling aus Meschgorje mit dieser Aufgabe betraut.
Jaroslaw Karpowitsch, den die meisten einfach Großvater Karpytsch nannten, war mit seiner Arbeit im Großen und Ganzen zufrieden. Die langen Stunden in völliger Einsamkeit waren ihm lieber als der Lärm und die Hektik in den Wohnetagen. Ein wenig Ablenkung fand er in dauernden Selbstgesprächen.
Doch heute wurde sein beschaulich dahinplätscherndes Dasein durch ein nachdrückliches Klopfen an der Tür gestört. Wer auch immer um diese Zeit Einlass in seinen bescheidenen Hort der Ruhe begehrte – für Karpytsch war es ein unerwünschter Besuch. In den langen Jahren der Einsamkeit hatte er sich längst daran gewöhnt, dass sich niemand für ihn interessierte.
»Wer ist da?«, wiederholte er geduldig, doch anstatt zu antworten, hämmerte der Ankömmling nur noch heftiger gegen die Tür.
Der Greis schüttelte missmutig den Kopf, packte den Griff mit beiden Händen und zog den schweren Riegel aus der verrosteten Buchse. Die Tür flog auf und hätte den Mechaniker beinahe am Kopf getroffen. Ein groß gewachsener Fremder, der einen einfachen Mantel mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze trug, trat selbstbewusst ein.
Der Besucher nickte dem alten Mann nur flüchtig zu, marschierte grußlos an ihm vorbei
Weitere Kostenlose Bücher