Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Greis keine Chance. Noch einmal hob Karpytsch den Kopf heraus und schnappte verzweifelt nach Luft. Durch den heftigen Adrenalinschub gewann er seine Sehkraft zurück und die Konturen der Gestalt, die sich über den Beckenrand beugte, wurden auf einmal scharf. Nur für einen kurzen Moment … Zu kurz, um sich über die wiedergewonnene Sehkraft zu freuen, aber lang genug, um sich das maskenhafte Gesicht des rotbärtigen Mörders einzuprägen, der nicht die geringste Regung zeigte.
Im nächsten Moment schlug das Wasser wieder über Karpytschs Kopf zusammen, und der Alte ging unter. In einem qualvollen Todeskampf sank er hinab auf den Grund.
Tarans terrorisiertes Gehör reagierte nicht sofort. Das Dröhnen in seinen Ohren hielt einfach an, obwohl sein Presslufthammer soeben plötzlich verstummt war und aufgehört hatte, in den bleiernen Armen zu rütteln.
Gleichzeitig mit dem Werkzeug war auch die Lampe ausgegangen, die die enge Abbaustelle beleuchtet hatte. Im schwachen Licht der Stirnlampe legte Taran den verhassten Hammer ab, folgte seinem Sohn zur Kreuzung vor dem Tunnelabzweig und streckte den schmerzenden Rücken durch.
»Der Strom ist ausgefallen«, konstatierte Gleb und trat mit dem Fuß gegen ein Kabel, das im Kohlenstaub lag.
»Wahrscheinlich hat der Generator wieder mal den Geist aufgegeben.« Migalytsch schöpfte Wasser aus der Kanne und reichte es den zwangsrekrutierten Bergarbeitern. »Hoffentlich dauert die Reparatur bis zum Ende der Schicht.«
Aus dem finsteren Loch der benachbarten Abbaustelle tauchte Gennadi auf. Zuerst erschien sein Kopf, dann seine mächtigen Schultern und zuletzt sein schweißglänzender Oberkörper. Der Gigant musste äußerst vorsichtig durch die engen Gänge manövrieren, wenn er sich seine grüne Haut nicht allzu sehr ramponieren wollte. Die Wände waren rau wie Schmirgelpapier, und überall lauerten spitze Gesteinsvorsprünge.
Kurz nach dem Mutanten kam in gebückter Haltung der Heide ans Licht, schniefte erkältet und lehnte sich erschöpft gegen einen Förderwagen. Aurora reichte ihm eine randvolle Kelle mit Wasser, doch die schnappte ihm Gennadi weg und begann gierig zu trinken.
»Mensch, der säuft ja wie ein Pferd …«, kommentierte der Arzt schmunzelnd. »Pass auf, dass du nicht platzt, Grünhaut.«
Taran hob plötzlich warnend die Hand und legte den Finger auf den Mund. Der Heide sah den Kommandeur fragend an. Sogar Dym setzte die Kelle ab.
»Hört ihr das?«
Argwöhnisch spähte der Stalker in den Tunnel, der zum Hauptschacht führte.
Jetzt, da Dyms lautes Schlucken verstummt war, hörte man Wasser plätschern. Zuerst war es eher ein Tropfgeräusch, dann ein monotones Rauschen wie bei starkem Regen, doch schon Sekunden später hatte man den Eindruck, neben einem tosenden Wasserfall zu stehen. In diese bizarre Geräuschkulisse mischten sich erste panische Schreie von Arbeitern. Irgendwo dort hinten, im Hauptschacht, lief die untere Ebene voll.
»Ein Grundwassereinbruch?«, mutmaßte Migalytsch.
»Wir müssen nachsehen!«, rief Gleb und wollte schon loslaufen, doch Taran erwischte ihn gerade noch am Kragen.
»Hiergeblieben! Ihr bleibt alle, wo ihr seid.«
Der Stalker ging die zwanzig Meter bis zum Hauptschacht und blieb einen Schritt vor dem Rand des Abgrunds stehen. Von oben schossen braune Wassermassen, vermischt mit Erdklumpen und Steinen, herab und stürzten mit Getöse in den Schlund des Schachts, der langsam, aber sicher vollzulaufen drohte.
An einem Seil, das unter dem Druck des Sturzbachs hin und her pendelte, baumelte ein zerfasertes Holzgerippe – die traurigen Überreste des vorsintflutlichen Aufzugskorbs. Ein Blick auf das völlig zersplissene Seil genügte, um einzusehen, dass der Rückzugsweg nach oben abgeschnitten war.
»Meine Fresse!«, überschrie Gennadi, der nachgekommen war, das Brausen des Wassers. »Früher oder später kommt das auch bis zu uns!«
In der Tat tauchten im Lichtkegel der Stirnlampen bereits braune Schaumkronen auf, die sich über den Rand der Grube wölbten. Die unteren Abbaustrecken mitsamt den dort eingesetzten Kohlearbeitern waren also bereits überflutet. Der Wassereinbruch von oben hielt unvermindert an, und schon bald flossen erste Rinnsale zwischen den Beinen der Stalker hindurch.
»Weg hier!«
Taran schlüpfte als Erster in den finsteren Korridor zurück und blieb an einem der von Holzwürmern zerfressenen Stützbalken stehen. Indem er mit der Schulter leicht dagegen stieß, prüfte er die Standfestigkeit
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