Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
der Konstruktion.
»Wir müssen die Decke zum Einsturz bringen!«, erklärte er Gennadi, der hinzugetreten war. »Wenn der Gang verschüttet ist, kommt auch das Wasser nicht durch.«
»Bist du noch ganz bei Trost?« Dym ließ den Finger über der Schläfe kreiseln. »Wenn der Tunnel einstürzt, sind wir lebendig begraben!«
»Weißt du was Besseres? Wenn wir keinen Pfropfen in die Strecke bekommen, saufen wir jedenfalls ab!«
Skeptisch betrachtete Gennadi die mit Brettern verschalte Decke und nickte.
»Einen Versuch ist es wert. Abreißen ist schließlich einfacher als Bauen. Aber diesen Job überlässt du mir.« Der Gigant schob den Stalker diskret zur Seite und inspizierte die Befestigung der Stütze. »Und du sorgst dafür, dass die anderen in sicherer Entfernung bleiben.«
Taran machte zunächst keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Die Erinnerungen an die quälend langen Minuten, die er verschüttet in einem eingestürzten Stollen des Roten Wegs zugebracht hatte, waren noch frisch … Wenn dieser kauzige Sträfling nicht gewesen wäre, der Taran buchstäblich aus dem Jenseits ausgebuddelt hatte, wäre Gleb noch ein zweites Mal zur Waise geworden. Später, als der Stalker die Mannschaft für die Expedition zusammenstellte, hatte er sich noch einmal nach seinem Retter erkundigt. Wie sich herausstellte, hörte der Mann auf den Namen Oberführer, war ein »roter Skinhead« und ein seltener Chaot. Überall in der Metro kursierten wilde Geschichten über ihn, doch leider war es Taran trotz seiner guten Beziehungen nicht gelungen, diese schillernde Persönlichkeit mit dem skurrilen Spitznamen ausfindig zu machen.
»Geh schon!«, drängte Dym. »Du stehst mir nur im Weg.«
Letztlich fügte sich der Stalker, weil er einsah, dass Gennadi mit seiner unbändigen Kraft wie geschaffen war für die anstehende Mission.
»Sei vorsichtig!«, rief er ihm noch zu und trollte sich.
»Keine Sorge, Chef. Ich mach das schon …«
Nachdem Tarans Silhouette im Dunkeln verschwunden war, spuckte der Mutant in die Hände, guckte böse und rammte seine mächtige Schulter gegen den Balken. Die Konstruktion knirschte bedrohlich, und im trockenen Holz bildete sich ein großer Riss. Beim zweiten Anlauf sprang der Stützbalken krachend aus der Halterung, Dym fiel ins Leere und rollte auf dem Boden ab. Durch Spalten in der merklich abgesackten Bretterverschalung rieselten Sand und kleine Steinchen, doch die Decke hielt.
Gennadi, der das Geschehen inzwischen aus sicherer Entfernung beobachtete, fluchte leise und kam vorsichtig näher. Er hob den herausgebrochenen Balken auf und schleuderte ihn wie ein Speerwerfer durch die Luft. Der benachbarte Stützbalken, den das improvisierte Geschoss mit voller Wucht traf, brach in der Mitte durch. Nun gab der Tunnel endlich nach. Tonnen von Sandstein drückten die Deckenbalken durch und stürzten in den Korridor.
Aurora japste vor Schreck und hielt sich die Hände vors Gesicht, als sie das bedrohliche Grollen in der Strecke hörte. Ein Schwall Kohlestaub wehte in den abgetrennten Hohlraum herein. In der wabernden Wolke tauchte wie der Teufel aus der Schachtel ein schwarzes muskulöses Monster auf. Den Wartenden war das im ersten Moment nicht ganz geheuer. Erst als sie in der staubbedeckten Gestalt Gennadi erkannten, atmeten sie erleichtert auf.
»Bist du noch ganz?«, erkundigte sich Taran.
»Alles bestens«, brummte Gennadi hustend. »Der Tunnel ist dicht. Wir haben ein wenig Zeit gewonnen.«
»Und was nun?!« Gleb sah seinen Vater bange an. »Jetzt sitzen wir doch in der Falle!«
Taran schaute sich in der engen Kaverne um. In einer Ecke lagen kreuz und quer verstreut Schaufeln und Spitzhacken herum.
»Wir werden abwarten und hoffen, dass das Wasser wieder abläuft. Dann können wir versuchen, uns zum Hauptschacht durchzugraben. Werkzeug ist genug da.«
Die Abenteurer schwiegen und machten sich auf die Suche nach halbwegs bequemen Sitzgelegenheiten. Sie hatten kein Bedürfnis, über die Geschehnisse zu sprechen, und waren nach der anstrengenden Schicht auch viel zu müde dazu. Während hinter der Einsturzstelle bedrohlich das Wasser gurgelte, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.
Als Gleb sich an seine naive Begeisterung im Vorfeld der Expedition erinnerte, lächelte er flüchtig und seufzte tief. Seit jener unbeschwerten Zeit hatte sich viel verändert. Sitting Bull war nicht mehr, und der Rest der Mannschaft steckte ziemlich in der Klemme. Wer hätte gedacht, dass sie nach der
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