Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
…
Das Gesicht des Obersts war von der Krankheit gezeichnet. Die eingefallenen Wangen, das zerfurchte Kinn, die runzelige, von Altersflecken übersäte Stirn – dieser hilflose Greis hatte nicht mehr viel gemein mit dem machtbewussten, unumstrittenen Leader von früher, vor dem alle in Ehrfurcht erstarrten, selbst wenn nur sein Name erwähnt wurde.
»Du hast übelst abgebaut, Alterchen … Höchste Zeit, dass du abtrittst …«
Der Besucher trat seitlich an das Krankenbett heran …
»He, was machen Sie hier?! Es ist keine Besuchszeit. Der Patient ist noch nicht aus der Narkose erwacht.«
Als Samuil Natanowitsch das Zimmer betrat und die über den Oberst gebeugte Gestalt bemerkte, ging er entschlossen auf den Fremdling zu, um ihn unverzüglich hinauszuexpedieren. Doch plötzlich stutzte er. Die Monitore der Überwachungsapparatur waren ausgeschaltet, die Kabel mit den Sonden lagen achtlos auf dem Boden, und unter der halb zurückgeschlagenen Decke lugte das über den Bettrand hängende Bein des Obersts hervor.
»Was … Was soll das …?«
Erst jetzt bemerkte der Arzt, dass der Eindringling ein Kissen auf den Kopf des Patienten drückte.
»Was machst du da?!«, schrie der Heide und wollte dem Mörder in den Arm fallen.
Doch eine Pistole in dessen anderer Hand durchkreuzte sein Vorhaben.
»Bleib, wo du bist, Weißkittel!«, drohte Sungat mit einem fiesen Grinsen und nahm den Heiden aufs Korn.
Das Kissen rutschte vom grau gewordenen Gesicht des Patienten. Der Oberst hatte sein Leben ausgehaucht, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen.
»Warum?«, stammelte Samuil Natanowitsch heiser.
Der Arzt war geschockt. Es war furchtbar, so kurz vor dem Ziel zu scheitern. Er hatte eine hochkomplizierte Operation mit viel Feingefühl und absolut fehlerlos durchgeführt. Dieser Eingriff war die Krönung seiner Karriere und hatte ihm den Glauben an seine Fähigkeiten zurückgegeben. Und nun so ein ruhmloses, sinnloses Ende …
Mit dem Tod des Patienten kehrte jene niederschmetternde Leere in seine Seele zurück, die er schon überwunden zu haben glaubte. Dem Heiden wurde schmerzlich klar, dass immer noch ein Fluch über ihm hing. Ein Fluch, der denjenigen das Leben nahm, die er eigentlich retten wollte.
»Die Siedlung braucht einen neuen Führer.«
In Sungats Augen loderte ein teuflisches Feuer.
»Einen wie dich?«
»Hast du irgendwas dagegen, Quacksalber? Du verdammtes Stück Scheiße hättest beinahe meine Pläne durchkreuzt! Du und deine Drecksbande! Vor allem dieser Stalker … Ihr hättet schon im Schacht krepieren sollen!« Den letzten Satz schrie der Bandit dem Heiden ins Gesicht vor Zorn. »Aber macht nichts … Das lässt sich korrigieren … Dein sauberer Freund hat mich in aller Öffentlichkeit erniedrigt. Das schreit nach Rache … Und mit dir fange ich an, du verhinderte Ikone der Wissenschaft …«
»Ich habe mein Leben gelebt …« Auf Samuil Natanowitschs erschöpftem Gesicht spielte ein Lächeln. »Bei Taran sieht die Sache anders aus … Selbst wenn du die Expedition einholst, was ich stark bezweifle, wirst du den Stalker nicht kriegen. Und weißt du auch, warum?«
Ohne eine Spur von Angst marschierte der Heide auf den Mörder zu, bis seine Brust gegen den Pistolenlauf stieß. Während Sungat auf die Antwort wartete, kräuselten sich seine Lippen vor Wut.
»Weil er im Gegensatz zu dir Eier in der Hose hat!«
Hasserfüllt brüllte Sungat los, und die Waffe in seiner Hand begann zu feuern. Samuil Natanowitsch sank leblos zu Boden und zuckte jedes Mal, wenn ein neues Geschoss seinen wehrlosen Körper traf. Selbst als das Magazin leer war und die Pistole nur noch albern klickte, ließ der Mörder den Abzug nicht los und blökte unverständliches Zeug.
Plötzlich kamen zwei Patrouillensoldaten zur Tür herein. Als sie den hochrangigen Kommandeur mit gezückter Waffe sahen, stutzen sie kurz und blickten dann synchron zu dem Toten, der blutüberströmt auf dem Boden lag.
»Der Oberst ist tot!«, rief Sungat geistesgegenwärtig. »Ich habe den Mörder auf frischer Tat ertappt!« Bevor die Kämpfer auf dumme Gedanken kommen konnten, schnappte sich der Bandenchef einen der beiden, einen blondhaarigen Trampel mit groben Gesichtszügen, und hielt ihm den Finger vor die Nase. »Wie heißt du? Ach, egal. Ich gehe Schustow holen. Ihr bleibt hier und lasst niemanden rein, bis ihr neue Anweisungen bekommt!«
Die Soldaten nahmen Haltung an und schauten dem bärtigen Hünen hinterher. Kaum hatte Sungat den
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