Hinter dem Mond
persische Universität. Die Universität in Teheran hatte eine Aufnahmeprüfung, die so schwer war, dass sie niemand schaffte. Mein Vater nicht, seine Geschwister nicht und kein anderer, den er kannte. Deshalb wurden persische Kinder auf den Schulen von Anfang an auf das Hardcore-Lernen gedrillt, denn direkt nach dem Abitur ging das Büffeln für die Prüfung los. Wer es nicht schaffte, musste im Ausland studieren, und das waren sehr viele. Was diejenigen taten, die kein Geld für ein Auslandsstudium hatten, wusste ich nicht. Solche Leute kannte ich auch nicht. Ich jedenfalls würde noch nicht mal das Abitur auf Persisch schaffen, da ich ja schon auf Deutsch versagte. Wer auf einer persischen Schule Abitur machte, verließ den Schreibtisch zwei Jahre vorher nur, um etwas zu essen oder aufs Klo zu gehen, hatten mir meine Eltern erzählt. Und bei meiner hohlen Cousine Susan und den anderen Kindern in der Familie war es jetzt schon so. Mir blieb also nur noch die Möglichkeit, ohne Abitur und ohne Beruf jemanden zu heiraten, um von denen wegzukommen. Einen hässlichen, kleinwüchsigen Perser mit Haaren auf dem Rücken, der nur um meine Hand anhalten würde, weil ich die Tochter meines Vaters war und er in unsere scheißfeine Familie mit den vielen angesehenen Ärzten aus Europa hineinkommen wollte. Der blöde Bräutigam hätte von nichts eine Ahnung und wäre natürlich ekelhaft devot zu meinen Eltern, und jedes Mal, wenn ich ihn verlassen wollte, würden meine Eltern zu ihm halten und ihn trösten, dass ich so schwierig sei, und mich wieder zu ihm zurückschicken. An dieser Stelle kamen mir die Tränen, und ich ballte die Faust. Und dann würden sie ihm eine Wohnung oder ein Grundstück schenken, so wie es in unserer Familie oft bei reichen aufmüpfigen Töchtern passierte, damit er mich bloß nicht verließ und Schande über uns brachte. Dadurch würde der Bräutigam natürlich immer frecher und respektloser mir gegenüber werden, bis ich eines Tages mit nur einem kleinen Rucksack über die Berge Aserbaidschans in die Türkei fliehen würde und von dort dann endlich nach Deutschland. Mich würde aber andererseits niemand heiraten, sagte meine Mutter ständig, weil ich ja wegen der Tampons keine Jungfrau mehr war. Wahrscheinlich würde sie die Tamponsache auch extra vorher dem Bräutigam verraten, damit er die Hochzeit platzen ließ und ich als alte Jungfer für immer bei meinen Eltern bleiben und meiner Mutter bis an mein Lebensende beim sinnlosen Kräuter putzen und Weinblätter wickeln in der Küche helfen müsste.
Ich hing so tief in meinen Gedanken, dass ich nicht merkte, dass meine Eltern mein Zimmer betreten hatten.
»Warum machst du vor allen Leuten so ein Theater?« Meine Mutter sah mich mit ihren fiesen persischen Augen böse an.
Mein Vater hob die Hände und schüttelte den Kopf.
Ich zog meine Lilly-Schnute mit extraweit vorgeschobener Unterlippe noch etwas weiter vor, sodass der Kiefer schmerzte, und schaute aus dem Fenster auf das Baugerüst gegenüber.
»Was soll das?«, fragte sie kalt und ungeduldig. »Du glaubst wohl, wir haben Angst vor dir?«
»Ich gehe auf keine persische Schule. Vergesst es einfach. Und du hast mich verarscht.«
Ich sagte zu meinem Vater: »Sie konnte es nicht ertragen, dass ich es so schön bei Sonja hatte, und hat mich erpresst, damit ich wieder hier in Scheiß-Teheran sitze.«
»Nein, das hat sie nicht.« MeinVater schüttelte immer noch seinen Kopf, als wäre er von einem Dauerschüttelanfall befallen. »Sie war besorgt, was wir jetzt mit dir machen sollen.«
»So ein Scheiß. Sie freut sich doch, dass meine Luxusschule endlich schließt und ich wie alle persischen Arschlöcher in Uniform zur Schule gehen muss. Das hat sie sich schon die ganze Zeit gewünscht.«
Meine Mutter fuhr dazwischen und benutzte ein paar ihrer persischen Spezialschimpfwörter, um pointiert auszudrücken, dass ich ein zu wertloses Stück Scheiße sei, um von ihr in irgendeiner Art und Weise beneidet zu werden. Und dass ich verrückt sei zu glauben, jemand würde so einer Irren wie mir vertrauen und sie für viel Geld unbeaufsichtigt weit weg auf ein Internat schicken. Und dass ich froh sein könne, dass man mich überhaupt noch auf eine Schule schicken würde, die Geld kostet, eigentlich würde ich auf eine staatliche Schule gehören. Da würde man mich schnell zur Vernunft bringen, und ich würde sehen, wie das schmeckt, und etwas dankbarer sein.
»Du bist sooo scheiße, Mama«, sagte ich
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