Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
hatten. Merkwürdigerweise wurde ich ausgerechnet jetzt kaum beachtet, als ich alleine im Dunkeln auf einem belebten Bürgersteig saß. Die Männer gingen schnell an mir vorbei, sie dachten bestimmt, ich würde auf meinen Ehemann an der Tankstelle warten. Eine junge Frau in einem ärmellosen Sommerkleid um diese Uhrzeit alleine auf der Straße überstieg ihre Vorstellungskraft. Und plötzlich wusste ich, es gab nur eine Lösung, um diesem unerträglichen Elend und der hoffnungslosen Zukunft zu entfliehen: Ich musste meinem Leben einfach ein Ende setzen. Dann wäre ich erlöst!

    Mein Selbstmord ging komplett in die Hose. Ich hatte aus dem Schrank meines Vaters eine Packung Valium 5 geklaut. Die wollte ich nehmen und dazu eine Flasche Whisky trinken, so wie es immer alle in Filmen und Büchern taten, und dann leblos in meinem Bett liegen. Die trauernde Katze würde versuchen mein Gesicht zu lecken, um mich wiederzubeleben, dann durch lautes Miauen meine Eltern anlocken, die nur noch die Leiche ihres einzigen Kindes vorfinden würden. Auf diese Stelle freute ich mich am meisten. Meine Mutter würde mich sicherlich noch auf meiner Beerdigung im Sarg beschimpfen, nur Vollidioten wie ich würden sich umbringen, das wäre das typische Ende einer Hure und solche Sachen. Mein Vater würde am Sarg weinen und sich selbst die Schuld geben, er wäre nicht streng genug gewesen und hätte zu wenig auf mich aufgepasst. Dann fiel mir ein, dass ich gar keinen Sarg bekommen würde, weil ich ja Moslem war und alle Moslems nur in ein Leichentuch gehüllt und ohne Kleidung innerhalb von 24 Stunden beerdigt wurden, und zwar auf dem einzigen Friedhof Teherans, Beheschteh Sahra, wo jeder beerdigt wurde, und ich war sofort wieder ganz schlecht drauf.
    Noch nicht einmal stilvoll sterben konnte man in diesem Drecksland. Ich hatte mir die Tabletten schon alle aus der Folie gedrückt und aufs Bett gelegt und schlich dann noch einmal an meinen Eltern im Fernsehzimmer vorbei in unseren Salon, um mir eine Flasche Johnny Walker zu holen. Kaum war ich zurück in meinem Zimmer und hatte den Metallverschluss der Flasche aufgeschraubt, kam meine Mutter hinterhergeschlichen und fragte erstaunt:
    »Was willst du mit dem Whisky?«
    Ich stand verdattert mit der Flasche vor ihr und wusste keine Ausrede. Jeder wusste, dass ich Whisky hasste. Dann durchforstete ihr prüfender Blick mein Zimmer, als könnte sie durch gezieltes Herumschauen die Antwort finden. Und siehe da! Ihr Blick blieb an dem Tablettenhaufen auf meinem Schreibtisch hängen. Sie ging näher hin, nahm die leere Valium-Packung in die Hand und sagte nur: »Du bist wohl völlig verrückt.«
    Dann nahm sie die Tabletten, die Packung und auch die Whiskyflasche aus meiner Hand und ging zu meinem Vater, um das zu tun, was sie am liebsten tat: petzen.

    Eine Woche vor Schulbeginn fuhren meine Mutter und ich in einen speziellen Laden, etwas südlicher in der Stadt, um für mich einen blauen Schulkittel und ein Kopftuch zu kaufen. Wir mussten einen blauen Kittel anziehen und uns das Kopftuch wie bei den Pfadfindern um den Hals knoten, allzeit bereit, es hochzuziehen.
    Es war das schlimmste Shopping-Erlebnis meines Lebens. In dem Laden gab es nur diese Sorte Kittelmantel, in denen nach Ansicht Chomeinis alle Frauen rumlaufen sollten. Ein sogenannter Kittelladen. Was haben die wohl früher verkauft, dachte ich und sah mir angewidert die mittelblauen, dunkelblauen, schwarzen, grauen, braunen und beigen Kittel an. Es gab quasi alles in Kackfarben. Die Stoffe waren schlecht und pflegeleicht, alle Mäntel mies genäht, total schmucklos und sahen natürlich billig und schäbig aus. Und man selbst sah schlimm darin aus. Eine Mischung aus Häftling und Putzfrau.
    Unsere neue Schulleitung hatte gesagt, mittelblau, also nahm ich einen in der Farbe, probierte ihn an, sah mich darin im Spiegel und musste fast kotzen.
    »Mamaaa …«, wimmerte ich. »Ich sehe aus wie eine Kolfat.«
    Meine Mutter sah auch angewidert aus. »Jetzt nimm schon irgendeinen, yallah, mach kein Drama draus und lass uns hier schnell gehen, bitte … außerdem hab ich noch nie eine arme Kolfat in so etwas gesehen. Du siehst aus wie eine türkische Raumpflegerin in einem deutschen Krankenhaus.«
    Ich lachte nicht.
    Um mich etwas aufzumuntern, ließ meine Mutter mich, nachdem ich mit Kittel und Kopftuch in der Tüte endlich aus dem Geschäft kam, mit unserem neuen Alibi-Renault, den ich schon mal geschrottet hatte, durch den Verkehr zurück nach

Weitere Kostenlose Bücher