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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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sollten. Zu einem vollkommen fremden Jungen nach Hause zu fahren, war mir zu gefährlich, aber nach dem Freitag musste ich dringend etwas Verbotenes tun. Zu dritt auf dem Motorrad zu fahren, fand ich auch gefährlich, ich hatte immer schon allein Angst. Ich diskutierte mit den Mädchen auf Deutsch und schlug vor, mit Sonja in einem Taxi hinterherzufahren. Aber das fanden alle blöd. Ich sträubte mich schon deshalb nicht richtig, weil ich die beiden Jungs eigentlich süß fand. Ihre französischen Namen sprachen sie genauso persisch aus wie wir unsere deutschen Namen. Also Lorran und Allänn. Wir sagten Farranak statt Frank und sprachen alle miteinander ein Kauderwelsch aus Deutsch und Persisch. Wahrscheinlich sprachen sie Persisch mit französischem Akzent, so wie Sonja und ich mit deutschem, aber um das zu bemerken, verstand ich die Sprache immer noch zu schlecht. Also setzte sich Sonja etwas widerwillig zu Laurent, der schwarze Haare hatte und superblaue Augen und ein wenig aussah wie Alain Delon. Ich überlegte, ob ich mich in ihn verlieben könnte, einen hübschen, coolen Jungen, der kein Deutsch sprach. Immer nur Persisch sprechen wäre auf Dauer mühsam und langweilig. Ich quetschte mich hinten auf das letzte freie Stückchen schwarzen Sitz, presste mich an Lucie und hielt mich am Griff hinter mir fest.
    Laurent fuhr vor, Alain mit uns beiden hinten drauf hinterher. Rechts und links der Hotelauffahrt standen dicht geparkt die Autos. Unten an der Pahlewi blieb Laurent stehen und drehte sich nach uns um. Dieser Moment muss Alains Selbstdarstellungstrieb extrem herausgefordert haben, er riss das Lenkrad der Yamaha nach oben, und ich flog von den wenigen Zentimetern Sitzfläche unter meinem Hintern auf den Asphalt, Alain verlor das Gleichgewicht, und ich sah, auf dem Boden liegend, wie er mit dem Motorrad in die parkenden Autos krachte. Ein schreckliches Geräusch, Glassplitter überall, ein heulendes Motorrad und Blut.
    Die beiden anderen kamen hochgerannt, Lucie hatte sich wieder aufgerappelt und hielt sich den blutenden Arm. Aus Alains kleinem Finger spritzte das Blut. Vollkommen schockiert sah ich, dass er sich den Fingernagel regelrecht abgerissen hatte. Laurent hob die Maschine hoch, und Lucie hielt sich nur wortlos den Arm. Sie hatte sich geschnitten, überall lagen Glassplitter mit Blut befleckt, und wir hatten drei Autos verbeult und zerkratzt. Ich setzte mich auf den Grünstreifen und untersuchte mich. Mir taten die Hüfte und das rechte Knie entsetzlich weh. Meine Jeans hatte zwar keinen Riss, aber meine Haut darunter war an vielen Stellen schlimm aufgeschürft, und aus der großen Schürfung auf meinem Knie sickerte ganz langsam Blut durch die Hose und es wurde schon dick.
    »Komm, wir müssen in die Notaufnahme.«
    »Nein, auf keinen Fall, will ich nicht«, sagte Alain trotzig. War der verrückt geworden?
    »Du musst genäht werden!«, schrie ich ihn genervt an. Ich war total sauer. Wir hätten alle tot sein können. Nur weil der Idiot sich vor uns wichtig machen wollte. Wie dämlich von mir, einfach hinten draufzusteigen, obwohl ich Angst hatte. Und keiner von uns trug einen Helm! Mir wurde noch etwas übler bei der Vorstellung, was auf der vierspurigen Pahlewi alles hätte passieren können. Deutsche Jungs hätten das nie getan. Sie trugen auch ohne Helmpflicht meistens Helme und hatten einen Ersatzhelm für die Mädchen dabei. Sie waren von ihren Eltern so erzogen: ohne Helm kein Motorrad.
    Lucie ging in die Hotellobby, um ihre Mutter von einem der Wandtelefone anzurufen. Auf die hysterische Alte hatte ich jetzt überhaupt keinen Bock. Ich hinkte in Richtung Straße und sagte auf Deutsch zu Sonja:
    »Ich hau ab, nach Hause. Willst du mit?«
    »Wie, du gehst jetzt einfach, oder was?«, schrie sie mich an, als wäre ich an allem schuld.
    »Ja. Tschüss.«
    Ich humpelte an den Straßenrand, winkte den nächsten verbeulten orange Peykan heran, schrie dem Fahrer meine Adresse zu, er hielt an, und ich ließ mich zu zwei Frauen im Tschador auf den ausgebeulten braunen Kunstlederrücksitz fallen. Ich wollte bloß nach Hause.
    Zu Hause sagte ich, ich wäre in der Schule von der Mauer gefallen.
    »Was turnst du auf der Mauer herum wie ein Lat?«, keifte meine Mutter sofort. Ein Lat ist ein Halbstarker, ein Asozialer.
    Ich holte eine große Tube Bepanthen aus dem Medizinschrank meines Vaters und eine Packung Paracetamol.
    »Was hast du dir da genommen?«, schrie meine Mutter. »Seit wann bist du

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