Hinter dem Mond
Sonja rumliegen, sie zog meine Sachen an und ich ihre. Ich hatte eine amerikanische Vogue von April 1980 mit Brooke Shields darauf bei Dee gefunden und hütete sie wie einen Schatz. Im Heft war eine große Geschichte über eins der Vogue -Models, Gia Carangi, und den Tod ihrer geliebten Bookerin, Wilhelmina Cooper, in New York, die mich sehr berührt hatte. Ich machte mir große Sorgen um das schöne Model. Sie war allein und verzweifelt, obwohl sie reich, schön und berühmt war. Also alles, was ich sein wollte. Und trotzdem unglücklich, ich verstand das nicht. Jedenfalls schminkten wir uns wie die Models mit drei Farben Lidschatten, einer Menge Rouge und sehr viel klebrigem Lipgloss. Dann übte ich einen feuchten, halboffenen Mund, ohne dabei auszusehen wie meine Cousine, die den Mund auch immer offen hatte, weil ihre Nebenhöhlen chronisch verstopft waren, sondern natürlich so wie die wunderschöne Brooke auf dem Titel. Wenn wir fertig geschminkt und angezogen waren und Sonja sich noch eine komplizierte Hochsteckfrisur gemacht hatte, setzten wir Bijan in den Buggy und gingen raus auf die Straße. Meistens riefen wir vorher noch Lucie an, die ganz in der Nähe von Sonja wohnte, und logen ihre Mutter an, dass wir gleich mit Dee in den Park fahren und gerne Lucie abholen würden. Sonja klingelte dann mit Bijan auf dem Arm, damit die Mutter nichts merkte, und ich wartete um die Ecke im Taxi.
Lucie sagte, ihre Mutter säße die meiste Zeit vor dem Telefon und wartete auf den Anruf ihres Lovers aus Deutschland.
»Deine Mutter hat also doch einen Lover!«
Lucie grinste blöde.
»Und was ist jetzt mit Alain?«, fragte ich desinteressiert.
»Mit dem waren wir gestern Hamburger essen. Ich durfte auf seinem Motorrad hinfahren und meine Mutter und mein Bruder im Auto hinterher …«
Jetzt verdrehte ich die Augen und stöhnte.
Als wir vor dem Park aus dem Taxi stiegen, kam ein weißer Mercedes, vollgestopft mit Jungs, langsam an uns vorbeigefahren, und jeder von ihnen rief uns etwas zu.
Wir taten so, als wäre nichts, und versuchten sie zu ignorieren, wurden aber alle drei rot und schämten uns. Als wir die vierspurige Pahlewi überquerten, um im Basar nach neuen Klamotten zu suchen, machten die mit quietschenden Reifen einen U-Turn und fuhren nun auf der anderen Straßenseite langsam neben uns her. Es war eine nagelneue Mercedes-Limousine und die Jungs sahen gar nicht schlecht aus, hatte ich mit einem schnellen Seitenblick festgestellt.
So dermaßen nicht beachtet zu werden, langweilte die Mercedes-Gang, aber sie riefen uns noch zu: »Wenn ihr doch noch wollt, wir sind auf der anderen Straßenseite!«
Zu meiner Überraschung rief Sonja zurück:»Und wenn ihr wollt, wir sind auf dieser Seite.«
Ich hörte die Mercedesreifen quietschen, die Autotüren gingen auf und alle riefen: »Klar, wollen wir, wir kommen!«
Ich rannte los, über die Straße, in den Park hinein, Lucie in ihren klackernden Holzpantoffeln und Sonja mit dem scheppernden Plastik-Buggy hinterher. Wir blieben erst auf einem der Spielplätze stehen, Bijan heulte, und Lucie hatte die Schlampentreter ausgezogen. Wir mussten alle drei entsetzlich lachen.
»Die waren gar nicht so schlecht …«, sagte ich etwas bedauernd.
Genau das hatte Sonja auch gedacht. Aber man konnte sich unmöglich von persischen Jungs auf der Straße anquatschen lassen. Das ging einfach nicht. Und ich hatte auch Angst vor jedem außerhalb unserer Schule. Irgendwie waren das auch Außerirdische. Ich konnte sie überhaupt nicht einschätzen und kannte die Rules nicht. Es waren definitiv ganz andere als meine.
Wenn Sonja Bijan mal nicht mitnehmen musste, gingen wir ins Hilton oder ins Hyatt, hingen da in der Lobby ab und ließen uns danach von Alain und seinen Freunden von der ehemaligen French School auf den Motorrädern Kunststücke vorführen. Die Jungs fuhren die Auffahrt zum Hilton so lange hoch und runter und führten uns Take offs vor, bis wir uns bereit erklärten, uns hinten draufzusetzen.
Es war an einem Samstag nach einem dieser langweiligen Familien-Freitage, an denen alle nur von Irak und Krieg, Benzin-Coupons und Rationierungen und ihrer Angst sprachen, sodass ich froh war, irgendetwas zu erleben, egal was. Deshalb traf ich mich mit Lucie, Alain und einem seiner Freunde im Hilton und trank Cola. Alain schlug vor, dass Lucie und ich uns bei ihm hinten auf die gelbe Yamaha Enduro setzten und Sonja zu Laurent und wir alle zu ihm nach Hause fahren und Musik hören
Weitere Kostenlose Bücher