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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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erst zu Hochform auf.
    Ich krallte mich an die Bar in unserer Küche, wo ich meistens saß und ihr beim Kochen zusah.
    Meine Mutter gab alles. Einige Minuten Geschrei später wusste ich, was passiert war.
    Lucies Mutter hatte meine Mutter kochend vor Wut aus einer Telefonzelle angerufen und sie angeschrien, dass sie nicht wüsste, was ich jeden Tag treiben würde, ich würde nicht zur Schule gehen, sondern ihre Tochter zu Dummheiten verführen, heute hätte ich das Telefon aus Bosheit blockiert, und sie wäre den ganzen Tag nicht erreichbar gewesen, ihre todkranke Schwester hätte versucht, sie zu erreichen, und es wäre immer besetzt gewesen. Ihre todkranke Schwester?
    Dann schrie meine Mutter: »Aber ich lasse das diesmal die Schule erledigen und mache mir nicht die Finger an dir schmutzig. Ich habe schon die Direktorin angerufen und denen gesagt, dass ich mich über den Saftladen bei der Regierung beschweren werde. Dass die es noch nicht einmal bemerken, wenn ein Schüler zwei Monate nicht zur Schule geht! Sie werden dich entsprechend bestrafen, das haben sie mir versprochen.«
    Dann ging sie endlich.
    In meinem Kopf fiepte es. Es war wie das eklige Rauschen im Fernsehen nach Sendeschluss. Ich konnte nicht mehr, ich würde jetzt so lange auf dem Barstuhl sitzen bleiben, bis ich einfach runterfallen würde. Ich stützte meinen Kopf auf die Hände und wusste wieder einmal nicht, was außer dem Tod mich erlösen könnte.

    Am nächsten Vormittag, es war ein Montag, saß ich wieder auf meinem Platz neben Bita und malte mit einem blauen Bic-Kuli ordentliche Kästchen in mein Heft. Vor der ersten Stunde war ich noch bei der Direktorin und hatte mich gemeldet, das hatte mir meine Mutter noch mehrmals gehässig eingebläut.
    »Und vergiss nicht, zur Direktorin zu gehen, die warten auf dich!«, rief sie mir fröhlich im Treppenhaus hinterher. Ich machte mir etwas Sorgen um meine Mutter.
    Die Direktorin trug Schwarz. Langer schwarzer Kittel und ein großes schwarzes Kopftuch, darunter ein blasses, langweiliges Gesicht. Sie hielt mir mit schriller Stimme einen langen Vortrag darüber, wie es läuft an einer Schule, das meiste verstand ich überhaupt nicht, weil sie sich so geschwollen ausdrückte.
    Ich stand vor ihr und blickte mit ausdruckslosem Gesicht auf den Boden und wartete, was gleich noch kommen würde.
    Aber es kam nichts. Ich sollte in meine Klasse gehen, sagte sie. Und wenn ich noch einmal unentschuldigt der Schule fernbliebe, würde ich rausfliegen.
    Ich nickte und schlich in die Klasse, wo mich alle anstarrten, als hätte ich eine grüne Perücke auf. Ich sagte dem fremden Pinguin vorn, ich sei bei der Direktorin gewesen, und setzte mich auf meinen Platz. Bita sah mich auch an, als wäre ich von der Front heimgekehrt.
    »Glotz nicht so«, zischte ich sie an und legte ein Heft zur Tarnung auf den Tisch.
    Der schwangere Pinguin war schon niedergekommen, und ein junger, sehr strenger Pinguin hatte sie ersetzt und schrieb die Tafel voll. Alle schrieben mit, es war mucksmäuschenstill in der Klasse. Der neue Pinguin hatte anscheinend mehr Autorität als die Gebär-Kuh.
    Ich schaltete sofort ab und überlegte, wie ich mich in einen dieser Busse schmuggeln und in die Türkei absetzen konnte. Ich hatte von Schleppern gehört, die Leute, die zum Tode verurteilt waren, zu Fuß in die Türkei brachten. Ein Freund meiner Eltern war Bankier und im engeren Schah-Zirkel gewesen. Er hatte verpennt, rechtzeitig abzuhauen. Nachdem sie seinen Vater abgeholt und hingerichtet hatten, hatte er sich als Schaf verkleidet und in einer Schafherde versteckt und sich über das Gebirge bei Nacht und Nebel in die Türkei schleusen lassen. Seine deutsche Frau und die Kinder waren schon lange in Berlin, aber er wollte noch bleiben und ein paar seiner Millionen retten. Und am Ende war es nur seine Haut, die er retten konnte. Mein Vater war schockiert von der Geschichte, weil meine Eltern mit dem Bankier und seiner Frau sehr gern verkehrten. Meine Mutter war neidisch auf die Frau, die nicht nur sehr hübsch war, sondern aus einem sehr reichen Elternhaus in Berlin stammte. Und ihr Mann besaß im Gegensatz zu meinem Vater eine eigene Bank. So konnte sie ihre sonst so tiefe Verachtung deutschen Ehefrauen gegenüber, die sich als Schuhverkäuferin von reichen, dummen, persischen Studenten schwängern ließen, um danach feine Arztgattin zu werden, bei Margret nicht loswerden.
    Aber diese Schafflucht hatte eine Stange Geld gekostet, die ich nicht

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