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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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gefunden und mit nach oben genommen. Es roch viel schärfer und besser als das persische Uhu und war auch klebriger. Ich hielt mir die Kügelchen unter die Nase und inhalierte den herrlichen Duft tief ein.
    Mittags rief ich meistens meine Mutter an und sagte, wir hätten doch noch länger Unterricht, weil es neuerdings ein Förderprogramm für uns gäbe. Meine Mutter glaubte es und war froh, dass ich so einsichtig war, daran teilzunehmen. Mich ärgerte natürlich, dass die Förderprogramm-Lüge die Pinguine in einem unverdient guten Licht dastehen ließ, aber mir blieb nichts anderes übrig, denn meine Mutter durfte auf keinen Fall bei Sonja zu Hause anrufen, das war zu gefährlich. Dee und Lucies Ma wussten zwar, dass ich jeden Tag Schule schwänzte, aber meine Mutter war zu schlau, und Dee wusste ja nicht, in welche Lügen ich mich schon verstrickt hatte, und hätte sich leicht verplappern können. Und ich wollte einfach so wenig wie möglich zu Hause sein.
    Sobald ich zu Hause war, ging ich in mein Zimmer, machte Musik an und hängte mich ans Telefon, um mir von den anderen den qualvollen Schultag berichten zu lassen. Merkwürdigerweise bemerkte niemand mein Verschwinden, und der schwangere Pinguin hatte auch nichts mehr gesagt.

    Beim nächsten Bombenalarm waren schon alle im Keller, und ich kam mit einem Buch etwas später nach. Ich hatte meine alten Holzclogs an, und als ich unten ankam, lachte meine Mutter Tränen und mein Vater war wie immer aggressiv und hätte mir gerne eine gescheuert. Ich setzte mich vorsichtshalber ein Stück weit weg von ihm.
    »Was war denn? Wieso haben alle so blöd geschaut, als ich kam, Mama?«
    »Du warst so laut auf den Marmortreppen mit deinen Clogs, als wir deine Schritte unten poltern hörten, schrie dein Großvater: Jetzt kommt Saddam, jetzt kommt Saddam! Und dann kamst du durch die Tür.«
    Sie wischte sich die Tränen weg. Und konnte sich nicht mehr beruhigen. Ich fand es gar nicht so lustig wie sie.
    Meine Eltern gingen bald nicht mehr in den Keller, denn sie hatten endlich eingesehen, dass der Einschlag einer Bombe unser Haus sofort zum Einstürzen bringen und man in jedem Fall sterben würde, egal ob oben oder unten.
    Aber der Strom wurde weiterhin bei Bombenalarm abgestellt, und wir mussten alle in einem Zimmer bei zugezogenen Vorhängen sitzen, damit kein Licht nach außen dringen konnte.
    Meine Eltern hörten dann Deutsche Welle auf ihrem Weltempfänger, und ich hatte den großen Kopfhörer in den Walkman gestöpselt und hörte mit geschlossenen Augen Musik. Mein völliges Abschalten nervte meine Eltern. Mein Vater fand, ich sähe aus wie auf Heroin, und meine Mutter sagte gehässig:»Sie hört dieses dang-dang-dang den ganzen Tag. Ich bekomme immer Kopfschmerzen davon.«
    Das dang-dang-dang meiner Mutter war die großartige Platte von Queen, »A Night at the Opera«, die ich nachmittags laut, aber nicht superlaut gehört hatte. Queen konnte man nicht leise hören. Meine Mutter war mal wieder reingestürmt und hatte einfach den Stecker herausgerissen. Ich verstand nicht, wie man überhaupt leben konnte, ohne Musik zu hören. Sie mochte nur Elvis und Harry Belafonte, und die fand ich beide total blöd. Platten oder Kassetten hatte sie nicht, nur wenn deren Songs im Radio liefen, stellte sie lauter und summte dazu. Und ich hatte das durchaus respektiert und mich nie so angestellt, wie sie es mit meiner Musik tat. In letzter Zeit überlegte ich öfters, ob alles bei der Kind-Verteilung mit rechten Dingen zugegangen war, oder ob ich jemand anderem gehörte und aus Versehen denen zugeteilt worden war, im falschen Körper auch noch, nämlich als Perserin. Eigentlich wie Edith, die schon am Anfang der Sommerferien zu ihrem Vater geflogen war und jetzt auf ein Internat in der Nähe von Münschen ging, wo es wohl ziemlich heiß zuging mit Jungs und auch Drogen. Bita hatte natürlich Kontakt zu ihrer besten Freundin und mir das alles erzählt.
    Ich durfte gar nicht daran denken, wo und wie Edith gerade lebte, sonst würde ich sofort anfangen zu heulen, und würde auch nie mehr aufhören können.

    Es war schon Ende Oktober und genau richtig, um sich den ganzen Tag draußen herumzutreiben. Leider hatte Sonja ziemlich oft den kleinen Bijan am Hals, weil Dee ständig unterwegs war. Wenn ich gegen halb neun ankam, lag Sonja meistens noch im Bett, wir frühstückten zusammen und fingen dann an, uns mächtig aufzustylen, einfach so, aus Langeweile. Ich hatte meine halbe Garderobe bei

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