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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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bekommen, was ich wollte. Eine ehrliche Niederlage war mir plötzlich um Klassen lieber als etwas unversucht zu lassen. Ich kannte das bis jetzt nur aus Situationen, in denen ich meine Eltern als Hindernis überwinden musste. Sobald ich etwas wollte, spürte ich unglaubliche Kräfte in mir und eine Beharrlichkeit.
    Also wartete ich, bis ich einige Tage später allein mit Golli bei mir zu Hause war, um sicherzugehen, dass meine Mutter nicht einfach in mein Zimmer gestürmt kam und mit lauter Kreischstimme »Leeeii-ly« in die Telefonleitung rief, während ich sagte: »Salaam, ich bin Susi.«
    Meine Finger zitterten, als ich sie in die Wählscheibe meines versifften weißen Telefons steckte, sechsmal. Dann sahen Golli und ich uns erschrocken an, ich hörte mein Herz laut hämmern.
    »Allo?« Eine persische Kleine-Jungs-Stimme.
    »Ehm, hallo. Ramin hastesch?«, fragte ich das Kind.
    »Schoma?« (Wer sind Sie?)
    »Susi!« Dann hörte ich das Kind wegrennen und »Ramiiin!« schreien. »Teleefoon!« Danach auf Deutsch: »Keine Ahnung. Susi.« »Hallo?« Seine Stimme war dunkel und sanft. Kein Stimmbruch mehr.
    »Hallo! Wie geht’s?«, sagte ich, etwas blöd.
    »Hallo, ganz gut«, antwortete er.
    »Ich … bin Susi … ich habe deine Nummer … von einer Freundin …«
    »Ach ja.« Er fand das anscheinend ganz normal, dass ihn eine Susi anrief, ohne Grund.
    »Ja. Was hat du gerade gemacht?«
    Er erzählte, dass er ein neues Motorrad bekommen und im Garten damit rumgespielt hatte.
    Ich fragte ihn nach seinem neuen Motorrad, nach seiner alten Suzuki, die er einem dicken Jungen aus der Schule verkauft hatte, ich erzählte von meinem Wunsch, genau sein Motorrad zu fahren, und plötzlich war eine Stunde rum und Golli hatte den Kuchenteller und die Obstplatte, die uns unsere Batschi gebracht hatte, leergegessen, meinen Videorekorder eingeschaltet und sah sich schon die zweite Folge von »3 Engel für Charlie« an, eine meiner Lieblingsfolgen: »Tod auf der Schönheitsfarm«.
    »Der war ja total toll!«, schrie ich sie an und machte den Fernseher leise.
    Golli sah mich erfreut an. Sie war froh, dass es ihre Klassenliste war, die jetzt für gute Stimmung sorgte.
    »Hast du gehört? Ich hab ihn gefragt, ob ich wieder anrufen soll, und er hat ja klar gesagt! Yeaaah!« Ich sprang zu ihr auf mein Bett, setzte mich auf sie und schüttelte sie. »Er hat gesagt, ich soll wieder anrufen! Ich soll ihn wieder anrufen! Hat er gesagt!«
    Zwei Tage später schloss ich meine Zimmertür ab und wählte wieder Ramins Nummer.
    Diesmal war es viel einfacher. Es war wieder ein Junge dran, diesmal einer mit einer quäkenden Stimmbruchstimme. Er schien einen Haufen Brüder zu haben. Als er ans Telefon kam und »Hallo, Susi« sagte, glaubte ich, in seiner Stimme ein wenig aufgeregte Freude zu hören.
    Ich fragte ihn, wie sein Schultag gewesen war. Dann erzählte ich von meinem. Er erzählte von seinen beiden jüngeren Brüdern und seiner älteren Schwester, Yasmin, die in Deutschland studierte.
    Er erzählte wieder von seinem neuen, großen Motorrad, und ich erzählte ihm noch einmal, dass ich die kleine grüne Suzuki so gerne gehabt hätte. Wir sprachen über Essen, unsere Lieblingsgerichte und was wir nicht mochten. Über Musik, Rockmusik, über Queen und über Opern, die er genauso schrecklich fand wie ich.
    Er ist wie ich, dachte ich, nachdem er auflegen musste, weil seine Mutter telefonieren wollte. Wir hatten zwei Stunden gesprochen, an unserem zweiten Telefontag.
    Ich war wahnsinnig verliebt. Jeden Tag nach der Schule beobachtete ich ihn genau, um sicherzugehen, dass er mich nicht doch ansah und ich unbesorgt weiter Susi sein konnte. Er fragte mich nie, ob wir uns sehen könnten oder ob ich wirklich Susi sei. Aber er fragte nach meiner Nummer, um mich auch mal anrufen zu können. Ich lachte und sagte, er sei ja schlau.
    Das Besondere an unseren Gesprächen war für mich, dass wir die meiste Zeit Persisch sprachen. Ich wunderte mich, wie gut er Persisch sprach und wie wenig flüssig Deutsch. Wenn ich etwas Längeres erzählen wollte, switchte ich automatisch ins Deutsche um, allein schon, weil mir mein karger persischer Wortschatz die Lust am Erzählen nahm. Aber er antwortete meistens auf Persisch, und wenn er Deutsch sprach, mixte er es mit persischen Ausdrücken.
    Aber mit ihm machte mir das nichts aus, ich gab mir sogar Mühe, meinen deutschen Akzent zu verbergen, kunstvoller zu formulieren und längere Sätze zu bilden.
    So verging das

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