Hinter dem Mond
wirst nicht heiraten, da werde ich aufpassen.«
Irgendwie rührte mich das. Dann sagte ich plötzlich:»Willst du nicht wissen, wer ich wirklich bin?«
»Doch.« Mehr sagte er nicht.
Ich klappte den Mund auf und sagte: »Ich bin Lilly.«
Dann duckte ich mich. Scheiße, ich hatte es gesagt, ich hatte doch mit mir selbst ausgemacht, es nicht zu sagen, ich war echt zu nichts zu gebrauchen. Es gab auf unserer Schule nur eine Lilly, mich!
»Du bist Lilly!« Er lachte. »Das habe ich mir schon gedacht!«
»Was? Wieso hast du dir das gedacht?« Ich hätte fast noch hinterhergerufen: Du Schwein! Wieso hatte er sich das gedacht? Und sich nichts anmerken lassen? Ich war vollkommen verunsichert.
Er war überhaupt nicht schockiert oder angeekelt. Er redete einfach weiter, so, als hätte ich gerade nicht das größte Geheimnis aller Zeiten gelüftet.
Als wir auflegen wollten, fragte ich ihn beklommen: »Wollen wir jetzt noch weiter telefonieren? Oder hast du keine Lust mehr?«
»Warum sollte ich keine Lust haben?«
»Weiß nicht, weil du ja jetzt weißt, wer ich bin.«
»Na und?« Dem war es echt egal.
»Na gut.«
»Wir sehen uns morgen.«
»Morgen? Wieso morgen?« Ich bekam sofort wieder Angst.
»Bushof. Oder bist du nicht in der Schule?«
»Doch.«
Scheiße. Morgen auf dem Bushof. Oh nein, wie sollte das werden? Er würde mich flüchtig grüßen und mich blamieren. Oder mir das Herz brechen. Oder so tun, als würden wir uns nicht kennen. Ich hatte eine schlechte Nacht.
Am nächsten Morgen gab ich mir zum ersten Mal wieder richtig Mühe mit meiner Kleidung. Eigentlich hatte ich nichts anzuziehen. Es war schon frühlingshaft warm, aber ich hatte keine neue Frühlingsgarderobe.
»Dein Schrank platzt«, mokierte sich meine Mutter, wenn ich über mangelnde Ausstattung klagte. »Zieh das erst mal an. Lauter neues, teures Zeug. Vorher kaufe ich dir sowieso nichts mehr.«
Dann kam eine lähmende Aufzählung dessen, was ich mir alles im vergangenen Sommer in London, Paris und seitdem in Teheran gekauft hatte. Meistens kam dann noch die Geschichte mit dem teuren Skianzug, den sie mir gar nicht hatte kaufen wollen und dessen Jacke ich diesen Winter nicht angezogen hatte. Das stimmte, mir war die Jacke zu eng und zu ungemütlich und ich trug lieber eine alte blaue Kapuzenjacke zu der Jet-Hose. Die allein wäre das Geld auch wert gewesen, fand ich, und das kleinliche Krakeele meiner Mutter machte mich verrückt. Sie war geizig und missgünstig, allein, dass sie Lust hatte, wegen des Skianzugs vom letzten Jahr jetzt noch zu nerven, fand ich superwiderlich. Noch dazu, wo sie ihn weder bezahlt hatte noch einen einzigen Tag arbeiten gehen musste. Wenn sie sich teure Kleider kaufte oder Schmuck von meinem Vater schenken ließ, sagte ich nie, du hast schon vier Brillantringe, Mama, jetzt reicht’s aber. Ich freute mich, eine Mutter mit vielen Kleidern und Schmuck zu haben.
Ich hatte in meiner Not die letzten Monate aufgehört, mir über meine Klamotten Sorgen zu machen. Es gab sowieso nichts Anständiges zu kaufen, man konnte auch nichts mehr bestellen, und zu Besuch kam auch niemand mehr. Es war ja Krieg.
Ich sah aus wie alle, Jeans, Pullover und Turnschuhe und den mittlerweile stark mitgenommenen blauen Lappen darüber. Beim Durchwühlen meines Schranks fand ich ein kaum getragenes blaues Langarm-Shirt mit großen, weißen Sternen und zwei fast neue Fred-Perry-Polo-Shirts. Eine erfreuliche Überraschung, die mich dem wichtigen Treffen etwas selbstbewusster entgegensehen ließ. Ich presste mich am nächsten Morgen nervös in meine engste Röhrenjeans mit dem rosa Koppelgürtel und zog dazu das Sternenshirt an. Darüber die geliebte Lederjacke und schnell raus, ich konnte es nicht erwarten, in die Schule zu kommen und damit in Ramins Nähe.
Den ganzen Vormittag überlegte ich, wie ich mich später verhalten sollte, wenn er mich ignorierte. Ich spielte im Geiste alle Versionen an peinlichen Situationen durch und überlegte mir für jede einzelne einen guten Spruch.
Ich hatte Golli, Pari und Bita natürlich sofort von meinem gestrigen Wahrheitsanfall erzählt, dass wir uns gleich zum ersten Mal gegenüberstehen würden und ich die Hosen voll hätte.
Leider kreischten die drei wie Hyänen und verschlimmerten meine Befürchtungen nur, weil sie sagten, er sei so verklemmt, dass er sich mit Sicherheit nicht trauen würde, mit mir in der Öffentlichkeit zu sprechen.
Auf dem Weg zum Bushof zog ich den blauen Lappen aus, damit
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