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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Frühjahr mit Schule und verliebten Telefonaten am Nachmittag. Wenn ich mir vorstelle, wie viel sich zwei Menschen, die sich nie sahen, zu erzählen hatten, kann ich es gar nicht glauben.
    In der Schule blies plötzlich ein kalter Wind. Wir sollten auf die Endjahresprüfungen vorbereitet werden, die wir in allen Fächern ablegen mussten, um versetzt werden zu können, wie in iranischen Schulen immer üblich. Die Prüfungen waren wohl sehr hart und deshalb gefürchtet, und wenn man nur eine Einzige nicht bestand, musste man eine Nachprüfung ablegen.
    Meine Mutter war in der Schule gewesen und hatte mit allen Lehrerinnen gesprochen, die einstimmig gesagt hatten, dass ich im Unterricht schlafen oder blödeln würde und mit Sicherheit keine der Prüfungen bestand.
    Sie schrie erstaunlich wenig herum, sondern kam mit der widerlichen Idee, meine eigenen Lehrer sollten mich auf die Prüfungen vorbereiten.
    »Das geht doch nicht, Mama!«
    »Doch, auf einer persischen Schule geht das.«
    Ich weiß nicht, wie viel Geld sie den Lehrern gezahlt hat, jedenfalls waren ab da fast jeden Nachmittag irgendwelche Lehrer bei uns zu Hause. Die ernste Literatur-Kuh, die strenge Physik-Ziege, der kleine, bucklige Chemie-Zwerg. Alle saßen sie an meinem Schreibtisch, tranken Tee, fraßen Honigmelone und selbst gebackenen Kuchen und gingen mir immens auf den Geist. Stundenlang. Sobald sie weg waren, nahm ich das Telefon und rief Ramin an und erzählte ihm von dem Elend. Er hatte keine Lehrer in seinem Zimmer, er konnte anscheinend alles von allein, was mir etwas Angst machte. Wie konnte man das alles überhaupt können? Den Außerirdischen-Blödsinn.
    Das einzig Lustige war, dass die Lehrerinnen bei mir im Zimmer die Kopftücher abbanden und ihre platten Haare zu sehen waren.
    Ich musste Physikaufgaben lösen, wie zwei Flugzeuge hintereinander starteten, eins schneller fliegt, eins langsamer, und wann sie wo landen und wie viel Benzin sie dabei verbrauchen. Es brauchte ewig, bis ich die Aufgabe gelesen und verstanden hatte, bevor ich mir darüber Sorgen machen konnte, wie ich die Beschleunigung der verdammten Flugzeuge ausrechnen konnte. Um mich dann beim Rechnen entsetzlich zu verheddern und als Flugzeit minus 12 als Ergebnis herauszubekommen. Wenn mir der zuständige Pinguin dann erklärte, dass das ja nicht sein könnte, legte ich einfach irgendwann den Kopf auf den Tisch und winselte: »Nemitunam.« (Ich kann nicht)
    Ramin lachte dann und sagte, es wäre doch ganz leicht, er würde es mir gerne zeigen und alle Aufgaben für mich rechnen.
    »Du kannst dir gerne meinen blauen Kittel anziehen und ein Kopftuch umbinden und für mich die Kackprüfungen ablegen, das wäre schön«, jammerte ich.
    »Kein Problem, das mach ich gern für dich.«
    Am schlimmsten war die Chemielehrerin. Sie war winzig, hatte einen Buckel, hinkte und konnte den ohnehin vollkommen unverständlichen Chemiestoff überhaupt nicht erklären. Jedenfalls nicht so, dass ich etwas verstanden hätte. Sie nervte mich unendlich, aber sie sah so schwer geschädigt aus, dass ich mich nicht mehr über sie lustig machen oder sie als Gefahr sehen konnte. Sie war eine arme Kreatur. Aber ausgerechnet meine Mutter hasste sie total. Sie fand, sie hätte genau wie alle Lehrer schwere Minderwertigkeitskomplexe und diesen tief verwurzelten Reichenhass. Und unsere neuen Lehrer würden alle aus der armen Südstadt in den Norden kommen, um reiche Kinder wie mich im Auftrag der islamischen Regierung zu misshandeln.
    Mittlerweile nahmen auch Golli und Bita an meinem Privatunterricht teil, sie kamen fast jeden Tag mitsamt den Pinguinen nach der Schule mit zu uns, uns wurde das Essen von Fatmeh Chanum im großen Esszimmer serviert, dann setzten wir uns an den anderen langen Esstisch in unseren Salon, und meine Mutter ließ uns ständig Obst und Gebäck bringen. Als der Chemie-Zwerg das erste Mal durch unsere Wohnungstür kam und unsere glitzernde Empfangshalle betrat, wich sie zurück, zog erst mal ihre ausgetretenen winzigen Schuhe aus und fing direkt an zu stottern vor Ehrfurcht. Ich musste allen immer wieder sagen, sie sollten doch bitte ihre Schuhe anlassen, alle unsere Gäste würden in Straßenschuhen über die Seidenteppiche laufen, ich selbst auch. Der Anblick meiner Lehrerinnen ohne Kopftuch an unserem Tisch war schon erbärmlich genug, ich wollte mir den Anblick ihrer Füße in den hautfarbenen Seidenstrümpfen ersparen.
    Die Pinguine lebten mit ihrer ganzen Familie in kleinen

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