Hinter dem Mond
Mutter sein, das war ganz klar. Ein Hase wäre für jemanden wie meine Mutter ein Stalltier und dreckig und gehörte nicht ins Haus. Die Kiste war auch zu groß, und ich wusste nicht, wie die Einstellung von meinem neuen Tier zur Stubenreinheit war. Soweit ich wusste, kackten Hasen alles voll mit kleinen, braunen Hasenkackkrümeln.
Als ich zu Hause war, ging ich noch eine Treppe weiter rauf und deponierte die Kiste vor der Dachbodentür, ging wieder nach unten, begrüßte meine Mutter und setzte mich mit unbeteiligtem Gesicht an den Mittagstisch.
Meine Mutter zog sich jeden Tag nach dem Essen ins Schlafzimmer zurück, um sich hinzulegen. Ich hasste diese Angewohnheit, Mittagsschlaf halten war für mich das Allerletzte, mein Vater hielt auch immer Mittagsschlaf, wenn er zu Hause war. Aber der machte wenigstens die Tür zu. Meine Mutter legte sich oft einfach irgendwohin und beschwerte sich danach, dass ich zu laut gewesen wäre, oder eine meiner Freundinnen angerufen und das Klingeln sie geweckt hätte. Jedenfalls war Mittagsschlaf in meinen Augen asozial, aber heute kam er mir recht. Ich rannte nach oben, holte meinen mümmelnden Hasen, ging mit ihm in mein Zimmer und ließ ihn erst mal frei laufen. Die Kiste stellte ich in die Ecke unter meinen Schreibtisch, die Ecke konnte man von der Tür aus nicht so gut sehen. Und meine Mutter kam selten richtig in mein Zimmer und mein Vater sowieso nicht.
Ich brachte ihm Salatblätter, einen Apfel und noch eine frische Möhre. Er mümmelte und mümmelte alles, was ich ihm gab. Danach kackte er ein wenig auf meinen neuen Kelim und auf den roten Teppichboden.
Am nächsten Morgen, bevor ich zur Schule musste, setzte ich ihn in seine Kiste und betete, dass meine Mutter nicht in mein Zimmer gehen würde.
Als ich mit Herzklopfen nach Hause kam, war meine Mutter normal, sie hatte also nichts gemerkt.
Zwei Tage später lag ich abends friedlich auf meinem Bett und sah fern und dachte über einen passenden Namen für meinen Mitbewohner nach, da kam meine Mutter in mein Zimmer.
»Willst du Lammkottelets essen?«, fragte sie aufmunternd. Meine Eltern aßen immer sehr spät, wenn mein Vater aus der Praxis kam, und ich hatte meistens vorher schon gegessen.
Dann schnupperte sie argwöhnisch. Und sagte: »Hier stinkt’s!«
Sie sah mich an. »Warum stinkt’s hier?«
»Das bin ich!«, sagte ich hastig.
Ich hielt die Luft an. Sie kam näher, sah die Kiste unter dem Schreibtisch, zog sie hervor, sah den unschuldigen Hasen an einer Möhre mümmeln und rannte schreiend davon.
Dann hörte ich sie meinen Vater anschreien:
»Saeeed, die hält sich Hasen in ihrem Zimmer!«
Ich fand das übertrieben, das hörte sich an, als hätte ich eine große Hasenzucht, es war aber nur ein winziges Mini-Kaninchen.
Mein Vater kam in mein Zimmer und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Hinter ihm meine schreiende und keifende Mutter.
»Wo sind Hasen?«, fragte er.
Da sah er die Kiste und lachte:»Wie süß!« MeinVater liebte Tiere.
Meine Mutter keifte sicherheitshalber noch lauter, sie würde gehen, wenn der Hase bliebe, die Kiste müsse sofort raus und dürfe nicht eine einzige Stunde noch in ihrem Haus sein.
Jedenfalls musste mein armer Hase die letzte Nacht im Hausflur vor der Wohnungstür verbringen, und ich musste ihn am nächsten Morgen wieder mit zur Schule nehmen und zurückgeben.
Ich stellte mich mit der Kiste auf den Grundschulhof. Kurz danach umscharten mich Kinder, alle wollten den Hasen streicheln.
Ein kleines Mädchen mit vielen schwarzen Locken nahm ihn auf den Arm und fragte, wie viel er kostet.
»150 Toman«, sagte ich gepisst.
»Okay«, sagte sie, »ich nehm ihn. Ich kann dir das Geld aber erst morgen bringen!«
»Okay, aber du musst ihn jetzt schon mitnehmen …«
»Ich heiße Rosi. Ich bring dir das Geld morgen in deine Klasse, ja?
Ich nickte, und Rosi zog überglücklich mit meinem Hasen ab.
»Was hast du mit dem Hasen gemacht?«, empfing mich die Keifstimme.
Hase heißt auf persisch Chargush .
Ich habe meine Mutter davor und danach nie wieder so oft Chargush sagen hören wie in diesen Tagen.
»Verkauft«, sagte ich knapp. Ich war beleidigt.
»Für wie viel?«
»150.«
»Was? Du hast auch noch fünfzig Prozent draufgeschlagen? Was bist du denn für ein Schlitzohr?«
Sie lachte. »Du bist wie dein Großvater: Handeln, Verkaufen, Bescheißen.«
Sie ging kopfschüttelnd in die Küche.
»Verkauft einen wertlosen Hasen fast fürs Doppelte … unglaublich
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