Hinter dem Mond
nicht das Ding meiner Mutter. So kam es, dass der Bus morgens oft hupend vor unserem Haus stand und ich immer noch im Bett lag. Meine Mutter hatte ungefähr zehnmal in mein Zimmer gerufen: »Aufstehen«, mich wahrscheinlich auch geschüttelt, aber das war mir egal. Aufstehen ging nicht. Wenn der Bus dann hupend vor unserem Haus stand, und die ganzen Spießer, die schon drin saßen, nach oben zu meinen Fenstern schauten, kam sie hereingerannt, riss mich aus dem Bett und fing an, mir hysterisch schreiend irgendetwas anzuziehen, das vor meinem Bett herumlag, während ich noch die Nerven hatte, zu jammern: »Nein, den Pullover nicht!«
Dann wurde ich noch ins Bad gezerrt, notdürftig abgewischt, einmal kurz die Zahnbürste im Mund gewendet und mit meiner Schultasche behängt rausgeschubst. Alle gafften mich natürlich an, wenn ich in den Bus stieg, und der Typ an der Tür, der nur den Job hatte, uns die Bustür zu öffnen und zu schließen, machte dann einen Spruch:»Chab mundi?« Was so viel heißt wie: »Hast du verschlafen?«
Ich schaute deshalb erst genervt an ihm und dann an den vierzehn bis zwanzig gewaschenen und mit Frühstück gestärkten Schulkindern vorbei und ließ mich auf eine Bank fallen, um während der vierzigminütigen Fahrt durch Teheran erst mal in Ruhe wach zu werden. Morgens war nichts los im Bus, alle starrten wortlos aus dem Fenster. Lustig wurde es immer erst mittags auf der Rückfahrt. Das Schönste an diesen Fahrten waren eigentlich die Gespräche der anderen, die man belauschen konnte. Die Jungs zeigten sich irgendwelche neuen Errungenschaften, die sie sich in den Ferien aus Deutschland mitgebracht hatten, oder sie spielten sich auf kleinen Kasettenrekordern Musik vor, die ich auch gerne gehabt hätte. Die Mädchen, die schon Busen hatten, durften mitreden und ließen sich dafür gerne von den Jungs ärgern. In meinem alten Bus hatten auf der hinteren Bank einige Jungs aus den oberen Klassen gesessen, die erzählten immer davon, was sie alles mit ihren Freundinnen gemacht hatten oder dass der Vater der Freundin nicht erlaubt hatte, am Wochenende auf eine Party zu kommen. Ich fand diese Gespräche wahnsinnig interessant und freute mich schon darauf, wenn ich endlich eins von den Mädchen sein würde, über die sich die Jungs in der letzten Sitzreihe unterhielten. Aber noch war ich die, auf die der ganze Bus fast jeden Morgen warten musste, verschlafen, ungekämmt, ungewaschen, unreif und ganz ohne Busen.
Die Busse standen den ganzen Vormittag, während wir Unterricht hatten, auf dem riesigen Bushof, und die Fahrer lungerten einfach herum, bis wir um eins alle zurück kamen und der erste Bus seinen Dieselmotor ratternd anließ, und einer nach dem anderen folgte, bis der ganze Bushof erfüllt war von dem lauten Brummen und Dieselgestank von dreißig Bussen. Das war ein Moment, den ich sehr mochte. Der beruhigende Dieselgeruch, zusammen mit dem Kurz-vor-dem-Start-Feeling. Das große graue Eisentor wurde geöffnet, und ein gelber Magirus-Deutz nach dem anderen, gefüllt mit Kindern, ratterte nach draußen, hinaus in die große, staubige Stadt.
Die Busfahrer ließen mittags ihre Händlerkumpel in den Bushof, die uns alles Mögliche verkauften. Im Frühjahr gab es zu meiner Verwunderung unreife Pflaumen, nach denen alle Kinder vollkommen verrückt waren: Goudje . Grün gepflückte gelbe Pflaumen, in Papiertüten verkauft. Die Kinder aßen sie mit Salz bestreut und drehten regelrecht durch deswegen. Ich kaufte mir auch eine Tüte, biss in eine der grünen Kugeln, und mir zog sich alles zusammen. Sie schmeckte widerlich, sauer und unreif, ich konnte keine verheißungsvolle Geschmacksnote herausfiltern. Meine Mutter fand dann die Tüte mit den restlichen grünen Dingern in meinem Ranzen, sie zog sie überrascht heraus, ihre Augen weiteten sich begeistert, sie rief: »Hmmmmmm, Goouudjeee«, und steckte sich einfach eine in den Mund.
Dann meinte sie wichtigtuerisch zu mir: »Da musst du aufpassen, iss die nicht, du bekommst schreckliche Bauchschmerzen davon.«
Und dann spuckte sie den Kern in ihre Hand und nahm sich noch eine.
»Mama, ich esse die nicht, die schmecken widerlich, ich weiß nicht, was daran toll sein soll! Grüne Pflaumen, iiih … aber alle essen die jeden Tag nach der Schule!«
»Wir haben die als Kinder geliebt! Wir haben die immer vor unserer Schule gekauft.«
Ich schüttelte den Kopf darüber, dass meine Mutter auch so merkwürdige Vorlieben hatte wie die anderen Kinder.
Dann
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