Hinter dem Mond
probieren. Nur eins der Mädchen stopfte seine Füße brav in die winzigen roten Stiefel und humpelte auf die Brücke. Ich wälzte mich vor Lachen auf dem nassen Boden, weil die Jungs richtig sauer waren, rote Zwergenstiefelchen angeboten zu bekommen. Dann sagte ich der Frau, die Schuhe seien zu klein. Sie bekam sofort eine genervte Falte zwischen den Augenbrauen, genau wie meine Mutter, bevor die Kreischstimme einsetzte, und sah mich mit ihren fiesen persischen Augen an:
»Haben wir nicht, los, zieh die hier an!«
»Blöde Nutte«, dachte ich, schnürte meine Kickers auf und versuchte, einen Fuß in den Stiefel zu bekommen. Die Frau sah mir noch genervter dabei zu und fuhr mich an, ich solle meine dicken Frotteesocken ausziehen, wie dumm wäre ich, dass ich denken würde, die Schuhe wären zu klein.
Wie sprach die Kuh denn mit mir? Ich war doch Filmstar und keine Hausangestellte.
Jedenfalls schafften wir es dann doch laut fluchend, unsere nackten Füße in die Gummidinger zu quetschen, die von unseren Füßen völlig ausgebeult und deformiert wurden. Natürlich tat es höllisch weh, immer wieder die kleine Brücke mit den eingeklemmten Füßen rauf und runter zu marschieren, dabei den Schirm zu halten, sich von dem lauwarmen Regen berieseln zu lassen, dabei noch fröhlich auszusehen und das bescheuerte Lied zu singen.
Als wir unsere schmerzenden Füße zusammen mit unserer Identität aus den Kinder-Gummidingern raus und zurück in unsere eigene Coolness stecken konnten, war ich leicht verunsichert, was meine Schauspielambitionen anbelangte.
Ich hatte mir mein erstes Engagement glamouröser vorgestellt.
Ein paar Wochen später rief mich Tante Mahin an und erzählte aufgeregt, sie hätte mich im Kino in einem Elefanten-Schuhe-Werbespot gesehen und sie wollte sich deswegen sofort für mich opfern. Sie erzählte, ich wäre die Schönste, die ganze Zeit groß im Bild, und sie hätte laut in den dunklen Kinosaal schreien wollen: Das ist meine Nichte!
»Mama, wir müssen ins Kino, sofort.«
Auf der Pahlewi Avenue war wenige Meter von unserer Kutsche ein großes Kino, dorthin gingen wir gleich in die nächste Vorstellung, einen persischen Film. Es war ein erhebender Moment, als der Spot gezeigt wurde, und ich wusste, alle in dem Kino konnten mich auf der Leinwand sehen. Jetzt fühlte ich mich doch ein bisschen wie ein Star. Wir schlichen uns nach der Werbung aus dem Kino, den persischen Liebesfilm wollten wir nicht sehen.
»Mama, ich will Schauspielerin werden.«
»Hör auf damit. Badde, wenn du das ständig sagst. Wer wird denn schon Schauspielerin?«
»Ich, Mama. Ich mein’s ernst.«
Sie sah mich mit diesem angespannt-gereizten Blick an, als sei ich das nervigste Insekt, das sogar gegen das hochgiftige iranische Insektenvernichtungsspray PifPaf resistent sei. In Teheran gab es in jedem Haushalt eine Riesenflasche PifPaf, ich hatte damit schon die allergrößten Kakerlaken ins Koma befördert und mich sogar einmal selbst nach einem Powerspraying übergeben müssen, so giftig war es.
»Was ist denn so schlimm daran?«, fragte ich und schleckte genüsslich an dem Schokoladeneis, das ich mir nach dem Kino gekauft hatte. Die geschmolzene braune Soße tropfte auf einer Seite aus der Waffel zwischen meinen Fingern auf den Boden.
»Warum musst du immer so eine Sauerei machen, wenn du ein Eis isst?« Sie gab mir ein Taschentuch. »Und hör auf, jedem zu erzählen, dass du Schauspielerin werden willst. Alle Schauspielerinnen sind Huren. Du musst mit jedem schlafen, sonst bekommst du keine Rollen.«
»Quatsch, Mama. Ich will jetzt Schauspielerin werden. Kinderfilme, da muss man doch mit niemandem schlafen!«
»Aber du wolltest doch Schriftstellerin werden!«
Sie hatte jetzt zwei genervte Falten zwischen den dünn gezupften, goldbraun gefärbten Augenbrauen.
»Ja, klar, irgendwann. Aber erst Schauspielerin!«
»Red keinen Quatsch. Du willst doch nicht Hure werden. Du bist in Europa aufgewachsen, die Tochter von einem Arzt und gehst auf die Deutsche Schule!«
Und damit war für meine Mutter die Diskussion über meine Karriere beendet. Wenn sich etwas nicht gehörte, kam sie immer mit dem Argument, ich sei die Tochter eines Arztes aus Europa und würde auf die Deutsche Schule gehen. Sie sagte es, wenn ich in der Nase bohrte, breitbeinig saß und man meinen Schlüpfer sehen konnte oder mit den Fingern aß. »Dochtare Dokor« und »Madrassehe Almani« waren der Hemmschuh für alles, was mit Freiheit und einem Hauch
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