Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
Klaviermusik aus einem kleinen schrottigen Kassettenrekorder tanzen, und Frau Armenian spulte ständig zurück, während sie uns streng und humorlos herumkommandierte. Mir machte das Ballett dort so gut wie keinen Spaß, denn mir fehlte völlig das Gefühl, eine Bühne zu betreten, und die unprätentiöse Einstellung zum Ballett der anderen in ihren schlecht sitzenden Sportklamotten langweilte mich. Ballett musste rosa-weiß sein, mit Tüll und streng zurückgekämmten Haaren, sodass die Ohren leuchtend abstanden. Aber hier hatte niemand Primaballerina-Träume. Ich ging trotzdem hin, denn es war besser als nichts. Außerdem wollte ich mittlerweile unbedingt eine berühmte Schauspielerin werden, am liebsten sofort, und ich wusste, ohne Ballett hatte man als Schauspieler keine Chance. Filmschauspielerin wollte ich werden. Im Kino des Goethe Instituts wurden immer wieder deutsche Kinderfilme speziell für uns vorgeführt. Ich hatte »Die Vorstadtkrokodile« und »Nordsee ist Mordsee« mit Uwe Bohm gesehen und war von beiden Filmen beeindruckt.
    In genau solchen Filmen wollte ich mitspielen, und zwar jetzt sofort, als Kind, und nicht erst, wenn ich erwachsen war und eine Schauspielschule besucht hatte.

    Eines Tages standen ein paar Leute mit Kameras auf dem Schulhof, machten Bilder von uns und schrieben dazu unsere Namen auf. Sie waren von einer Werbeagentur und suchten Kinder für einen Kinospot. Ich drängelte mich vor und versuchte so niedlich wie möglich auszusehen, aber die Leute waren vollkommen umzingelt von Kindern, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie sich überhaupt je wieder an mich erinnern würden.
    Zwei Tage später kam ich aus der Schule, und meine Mutter öffnete mir die Tür mit einem überraschten Gesicht. Die Leute hatten angerufen und ihr gesagt, sie hätten mich zusammen mit vier anderen Kindern aus Hunderten ausgewählt, um in einem Kinospot für Elefanten-Schuhe mitzuspielen.
    Ich war begeistert! Das war endlich der Anfang einer glorreichen Karriere als Schauspielerin, alle großen Schauspieler in Hollywood hatten mit kleinen Rollen angefangen. Ich würde berühmt werden.
    Die Dreharbeiten fanden an einem verregneten Tag auf dem Minigolfplatz des gigantischen Schahanschahi-Parks am oberen Viertel der Pahlewi Avenue statt, wo ich oft freitags mit meiner gesamten Familie spazieren gehen musste, was unglaublich langweilig und qualvoll war und was ich natürlich abgrundtief hasste. Dazu der Anblick der anderen Familien, die von Großeltern bis Enkelkindern gemeinsam durch den Park liefen und das auch noch für ein vergnügliches Freitagserlebnis hielten, Eis aßen und sich von den Männern mit der Polaroidkamera für zehn Toman fotografieren ließen. Es war furchtbar und es deprimierte mich unglaublich. Nichts war deprimierender als Familien, je größer, desto schlimmer. Ich hasste Familien einfach, Familien waren nur dazu da, einen zu quälen und dazu zu zwingen, Dinge zu tun, die man nicht wollte, und zu Leuten nett zu sein, die man hasste.
    Es regnete sehr selten in Teheran, aber an diesem Tag hörte der widerliche, warme Nieselregen nicht mehr auf. Es standen irrsinnig viele, wichtig aussehende Leute herum, Kameras waren aufgebaut, und ein paar Frauen standen vor einem Stapel Schuhkartons, in denen wohl die Schuhe für uns waren. Außer mir war noch zwei Mädchen und zwei Jungs aus meiner Schule dabei, die alle eher europäisch aussahen, ich war die dunkelste, und es blieb unklar, welche Strategie die Werbeleute bei ihrer Auswahl verfolgt hatten.
    Die Frauen erklärten uns, was zu tun sei: Wir sollten die kleine Betonbrücke hinaufmarschieren, Arme und Beine synchron bewegen, in der einen Hand einen kleinen lächerlichen Regenschirm halten und dazu ein Lied singen. Das Lied ging so:
    »Ma mirim be madresseh, ba Elefantenschuheh.« Was so viel heißt wie: »Wir gehen zur Schule in Elefantenschuhen.«
    Als wäre das nicht schon peinlich genug, sollten wir auch noch die knöchelhohen Gummistiefel aus den Kartons tragen. Meine Gummistiefel waren immer kniehoch, wer außer Gartenzwergen trug solche Stiefelchen? Uns hatte auch niemand vorher gefragt, welche Schuhgrößen wir hatten. Die größten Stiefel in den Kartons hatten Größe 34, es waren ja Kinderstiefel für persische, kleinfüßige Kinder. Ich hatte mittlerweile Größe 38. Die beiden Jungs weigerten sich, ihre Würde in Form der neuen High Tech Adidas überhaupt erst abzustreifen und die lächerlichen kleinen Stiefelchen zu

Weitere Kostenlose Bücher