Hinter dem Mond
von Spaß zu tun hatte. Sie meinte dann, ich solle schon mal nach Hause gehen, sie wollte noch in den Supermarkt. Ich stopfte mir schnell den Rest der mittlerweile aufgeweichten Waffel in den Mund und rannte hinter ihr her. Supermarktbesuche mit meiner Mutter gehörten zu meinen Lieblingsbeschäftigungen, die Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen, vor allem, weil sie dabei überhaupt keinen Wert auf meine lästige Gesellschaft legte.
Das große Kaufhaus am Ende der Kutsche an der Ecke der Pahlewi Ave war mein zweites Zuhause. Ich trieb mich da mehrmals in der Woche herum, manchmal, um etwas für meine Mutter zu besorgen, manchmal auch nur, um in der Baby-Abteilung Kleidung für Mr Molly zu stehlen. Mir machte nicht nur das Anziehen der Katze, sondern auch das Klauen unglaublichen Spaß. Den dicken Geldstapel, den ich in meinem Schreibtisch versteckt hatte, rührte ich nicht an. Der musste wachsen, falls ich irgendwann doch schnell abhauen wollte, brauchte ich viel Geld. Aber das war kein Problem, ich bekam so viel Geld, wie ich wollte. Das Klauen hatte damit nichts zu tun. Es war lustig und befriedigend. Leider gab es nicht besonders oft etwas Schönes, das Angebot der Waren war nicht wirklich überwältigend.
Es gab damals noch keine Diebstahlsicherungen, und man konnte ungehindert kleine T-Shirts, Mützchen und Schürzchen in Katzengröße mitgehen lassen. Meine Mutter fragte mich auch nur nebenbei, wo die Sachen für die Katze herkamen, ich log sie an, das wären Sachen des Babybruders einer Schulbusfreundin, und es interessierte meine Mutter auch nicht weiter.
Bis auf einen blöden Zwischenfall wurde ich nie dabei erwischt. Ich war mit meiner Mutter unten im Supermarkt, sie war schon an der Kasse, und ich lungerte noch zwischen den Regalen in der Süßigkeitenabteilung herum und entdeckte eine aufgerissene Tüte mit interessant aussehendem, buntem Gebäck. Ich nahm eins davon, schob es mir in den Mund, und es schmeckte eklig. Da kam ein männlicher Supermarktangestellter auf mich zu, packte mich am Arm und schimpfte, was mir einfiele, was ich da machte, sei verboten. Er wollte wissen, ob ich alleine da sei, und zog mich dann hinter sich her zur Kasse, wo meine Mutter ihre Einkäufe auf das Rollband legte und erstaunt auf mich mit dem Typen im blauen Kittel sah.
»Tschi schod?«, fragte sie. Was ist los?
Der Verkäufer schimpfte, ich hätte die Packung aufgerissen und einfach gegessen, und legte die kaputte Tüte als Beweis zu ihren Einkäufen aufs Rollband, entschuldigte sich für die Belästigung und ging.
»Warum hast du das gemacht?«, fragte meine Mutter erstaunt. »Ich hätte es dir doch gekauft.«
»Mama«, fing ich an. Aber dann verließ mich die Lust, überhaupt etwas zu erklären. Ich war kurz davor, meiner Mutter zu sagen, dass ich oben im dritten Stock das Zeug bergeweise hinaustrug und mich sicher nicht bei so etwas Blödem wie ein paar Keksen erwischen lassen würde.
Aber ich sagte nur: »Die Tüte war schon offen, ich hab mir nur einen Keks herausgenommen, das hat er gesehen.«
Damit war das Thema für uns erledigt.
Ein großes Problem neben allen anderen Problemen war weiterhin der verdammte Persischunterricht. Ich hasste Persisch noch mehr als Mathe und saß während der obligatorischen sechs Stunden Farsi wie eh und je hinten in der Deppenreihe und war immer noch ein Fristi. Meine Frist musste verlängert werden, weil ich längst nicht auf dem ziemlich niedrigen Persisch-Niveau der Klasse war. Meine Nachhilfelehrerin hatte mich auf das Niveau der dritten Klasse gehievt, ich las mit Mühe und konnte kaum ein Wort fehlerfrei schreiben. Das Schwierige an Farsi ist, dass es jeden Buchstaben mehrmals gibt. Sieben S, fünf T, mal wurde das A geschrieben, mal war es nur ein Akzent, es war jedenfalls verwirrend und für mich unlernbar. Man musste im Gefühl haben, ob das Wort arabischen oder iranischen Ursprungs war, und dann wusste man, welches T das richtige war oder welches von den sieben verschiedenen S. Ich hatte aber gar keine Ahnung, was woher kam und wollte es auch nicht wissen. Ich fand Farsi vollkommen sinnlos und langweilig und deprimierend. Wer sprach schon Farsi auf der Welt, dachte ich. Der Stress lohnte einfach nicht, in meinem Gehirn war auch schon alles voll und kein Platz für Gedichte, die man, selbst wenn man gut Farsi sprach, nicht verstand, denn die Literatursprache unterschied sich von der gesprochenen etwa so wie Altdeutsch von Bayerisch. Leider war das Persischbuch
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