Hinter dem Mond
Deutsch zu sprechen, und noch affiger, dass ihr persisches Kind in Persien die Landessprache nicht beherrschte. Angela wohnte in einer alten, schönen Villa direkt neben unserer Schule, worum ich sie total beneidete. Sie konnte jeden Morgen eine Stunde länger schlafen als ich. In unseren Freistunden saßen wir oft bei ihr im Garten, aßen frisches Sanggak-Naan mit Butter und Honig. Das Brot brachte immer Nargess, das Hausmädchen, von der Naan-Bäckerei eine Kutsche weiter mit, und es war noch so frisch, dass teilweise die heißen Steine, auf denen es gebacken wurde, noch daran klebten und die Butter darauf zerfloss und die Butter-Honigmasse durch die Löcher tropfte und einem langsam zwischen die Finger rann.
Angela war eine Schönheit mit langen glatten dunklen Haaren, schrägen grünen Katzenaugen und Sommersprossen, sie hatte zwei jüngere Schwestern, die genauso aussahen wie sie, lange Haare und Pony, sie waren bloß kleiner und hatten braune Augen. Wenn wir bei Angela im Zimmer saßen, Musik hörten und über die anderen Mädchen in der Klasse lästerten, kam immer eine der beiden Schwestern und wollte irgendetwas. Wir schrien dann beide: »Hau ab!«
Und schlugen die Tür zu.
Manchmal, wenn Angelas Mutter, die grüne Katzenaugen wie Angela hatte, zu Hause war, kam sie nach oben und sagte, wir könnten nicht so mit den Schwestern umgehen und es wäre nicht schön, dass die beiden ganz alleine in ihrem Zimmer sitzen, während wir nebenan laut Musik hören und tanzen.
Wir nickten dann beide stumm, Angela verdrehte noch etwas die Augen, und wenn eine der beiden das nächste Mal klopfte, schrien wir wieder: »Haaau aaab!«
Wir waren einfach scheiße.
Angela und ihre Schwestern hatten immer spießige graue Stoffhosen an, nie Jeans und auch keine Turnschuhe. Keine Turnschuhe, davon hatte ich bei Spießerfamilien schon gehört, und so bescheuerte Ausdrücke wie Turnschuhgeneration und Hippiemode. Ich stachelte Angela oft etwas auf und sagte, sie solle einfach heimlich eine Jeans von mir anziehen, es wäre doch egal, was ihr Vater denkt. Sie schüttelte dann ernst den Kopf, sah mutlos auf meine dreckigen weißen Adidas und meinte, das ginge nicht.
Ich hatte das Gefühl, mit dem Vater war etwas nicht in Ordnung, und man dürfe da besser nicht weiterfragen.
In der Villa von Angela stand mitten in einem wunderschönen Garten mit Blumen und alten Bäumen ein kleiner, charmanter Pool, alles war viel schöner als bei uns. Als ich das erste Mal zu Besuch war, wartete ich ungeduldig darauf, dass wir uns Badesachen anzogen und in den Pool sprangen, aber es machte niemand irgendwelche Anstalten.
Bis ich bei meinem zweiten Besuch mein Bikini-Oberteil aus der Schultasche zog und sagte: »Komm, wir gehen schwimmen.«
Angela riss die Augen auf und schüttelte den Kopf: »Wir gehen nie schwimmen.«
Im Gegensatz zu mir war sie schneeweiß. Ich war dunkelbraun bis auf die weißen Dreiecke, wo mein Bikini die Sonne nicht durchgelassen hatte.
Warum nicht? Ich setzte mich auf den Teppich in ihrem Zimmer und begann seelenruhig, meine Sneakers aufzuschnüren, dann zog ich meine engen Jeans aus, darunter hatte ich schon die Bikinihose an, schlüpfte aus dem T-Shirt und band mir noch das Oberteil um meine mittlerweile leicht gewölbte Brust.
»Willst du echt schwimmen gehen?« Sie tat so, als wären Krokodile im Wasser.
»Jaaaaaaa! Los, zieh dich aus. Lass uns runter gehen! Mann!«
Natürlich war es toll im Pool. Ich sprang ins Wasser, tauchte ab, kletterte raus, sprang wieder hinein und hatte einen Riesenspaß.
Wir saßen später am Poolrand und stellten uns vor, wie es wäre, wenn wir Schauspielerinnen wären, die man für die Vogue im Bikini fotografierte. Als wir anfingen, uns in verschiedenen Posen an den Pool zu legen, kam Angelas Mutter mit ihren hochtoupierten Haaren an den Pool zu uns und war ganz verzückt.
»Ach, wie schön, Kinder!«, rief sie überwältigt aus. Sie sagte immer »Kinder« zu uns. Und dann konnte sie sich gar nicht mehr darüber beruhigen, dass wir an einem heißen Spätsommertag im Garten ihrer Villa etwas ganz Normales getan hatten, nämlich in den Pool zu springen. Es war einfach eine komische Familie.
In Teheran war es noch sehr lange warm, bis Anfang Oktober konnte man mittags noch schwimmen gehen. Ende Oktober waren plötzlich die lehmbraunen Gipfel des Elburz-Gebirges schneeweiß, als hätte jemand über Nacht die Spitzen in Zuckerguss getunkt. Gott musste einen guten Tag gehabt haben,
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