Hinter dem Mond
wie sonst überall. Ich fragte immer als Erstes, auf welche Schule sie gingen. Wenn sie antworteten: American School, British School, Lycée Razi oder International School, redete ich mit ihnen.
Wenn sie auf eine persische Schule gingen, drehte ich mich sofort weg, weil ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Einige sprachen sogar nur Englisch mit amerikanischem Akzent mit ihren iranischen Eltern, was ich cool fand. Gita, die ältere Schwester meiner Mutter, fragte mich ständig, mit Blick auf mein leeres Bikini-Oberteil und meinen mageren Oberkörper, wieso ich keinen Busen und keinen Boyfriend hätte, und wenn ich dann verlegen wurde, lachten sich die beiden Schwestern mit Pouri schlapp und fragten meine Mutter, ob ich schon meine »Regel« hätte. Und dann schüttelte meine Mutter den Kopf und rollte mit den Augen. Dann wurde darüber gesprochen, dass ich schon fast zwölf sei und jetzt meine Regel bekommen müsse. Aber ich wurde in diesem August ja erst elf. Perser machten einen immer ein Jahr älter, hatte ich festgestellt. Meine Mutter flüsterte ihnen dann leise etwas zu, und ich verstand nur das Wort »spätreif«.
Ich versprach ihnen dann allen, bis zum Ende der Ferien auf jeden Fall einen Boyfriend zu haben, weswegen mich meine Mutter böse ansah. Meine Mutter war für Gita und Bita eben die ältere, spießige Schwester, die früh geheiratet und ein Kind bekommen hatte, anstatt nach London zu gehen und eine schicke Nutte zu werden wie sie. Ich konnte das nicht verstehen.
»Warum bist du nicht nach London gegangen wie Gita und Bita, Mama? Dann könnten wir beide jetzt in London leben und hätten es super, und nicht voll blöd und in Teheran«, fragte ich meine Mutter abends, als sie mir den Sonnenbrand auf meinen dunkelbraunen Schultern eincremte.
»Dann hätte ich dich doch nicht, du Dummerchen. Außerdem hat mir hier auch niemand London angeboten, sonst hätte ich sicher nicht deinen Vater geheiratet.«
»Deinen Vater« sagte sie in einem Ton, als hätte ich ihn persönlich erfunden und ihr angedreht.
Ich glaubte ihr nicht. Mein Opa war ein gerechter Mann, warum sollte er seine beiden jüngeren Töchter nach London schicken und seine älteste nicht?
»Weil sie nicht meine Mutter ist. Sie hat ihn dazu gebracht, ihre Töchter nach London zu schicken, damit sie auch vor ihm flüchten kann.«
Ach so, ja, die Geliebte!
»Wo ist denn jetzt die hübsche Geliebte, Mama?«
»Pssscchscht!« Meine Mutter machte einen entsetzten Zischlaut, sprang zur halbgeöffneten Tür des Gästezimmers, in dem ich schlief, und schloss sie leise.
»Komm bloß nicht auf die Idee, hier auch nur irgendjemanden auf dieses Thema anzusprechen, hörst du?«
Ich glotzte sie an. »Aber es wissen doch alle schon?«
Sie starrte mich eindringlich an und bohrte ihren spitzen Finger in meine busenlose Brust: »Mit niemandem! Kein Wort!«
Und dann sagte sie drohend:
»Du bist schon fast eine Frau, bald bekommst du deine Regel. Da weiß man, was man sagen darf und was nicht.«
Jetzt war ich völlig entsetzt. Ich war elf. Und an meine Regel wollte ich überhaupt nicht denken, nie.
Meine Klasse nach den Ferien war vollkommen neu gemischt. Ich kannte fast niemanden von meinen Mitschülern. Es ging also zum dritten Mal auf dieser Schule von vorne los. Allein unter lauter Fremden. Aber ich fand bald zwei neue Freundinnen, meine ersten richtigen Freundinnen in Teheran. Carmen war hellblond und gerade erst mit ihren deutschen Eltern nach Teheran gezogen. Ihr Vater war Ingenieur bei Krupp, und ihre Mutter war genauso blond wie sie und hatte viele lustige Sommersprossen. Ich war gerne bei ihr zu Hause, ihre Eltern waren nett und unkompliziert und immer gut gelaunt. Ich fuhr oft nach der Schule mit zu ihr, und wir verbrachten den Nachmittag am Pool oder in ihrem Kinderzimmer mit den neuen schönen, roten Kinderzimmermöbeln aus Deutschland. Einmal fand ich bei ihren Eltern im Wohnzimmer einen alten Stern . In dem Heft war ein großer Bericht über einen Jungen, den die Mafia in Rom entführt hatte. Da mich alle Geschichten über berühmte Menschen interessierten, vertiefte ich mich in die unglaubliche Geschichte dieses Jungen, der hier von der Zeit seiner Entführung erzählte. Der Großvater des Jungen war einer der reichsten Männer von Amerika, und die Entführer wollten, dass der Großvater eine Menge Geld zahlte, damit sie den Jungen wieder freiließen. Der Großvater war aber ziemlich eklig, soweit ich das in dem Text mitbekam, und
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