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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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voll von diesen nutzlosen Gedichten. Außerdem hasste und verachtete ich meine neue Nachhilfelehrerin, die eine einfache, freundliche und extrem devote Frau war, uns großen Respekt entgegenbrachte und mit meinen Eltern nur in Höflichkeitsfloskeln sprach, wie es fast alle Perser taten. Sie hätte es zum Beispiel nie gewagt zu sagen, dass ich sehr faul war und mir kaum Mühe gab. Stattdessen sagte sie, dass ich mich anstrengte, aber nur schwer vorwärts komme, es sei auch alles sehr schwer für mich. In ihrer Position als normale Grundschullehrerin wäre es für sie nicht denkbar gewesen, ein Kind aus der Oberschicht, noch dazu das Kind eines Arztes aus Deutschland, als faul und verzogen zu titulieren. Das war einfach so. Gut für mich. Zur Strafe für ihre untertänige Art trat ich ihr mit einer unglaublichen Hochnäsigkeit entgegen, so, als müsste sie dankbar sein, ein solch elitäres Wesen wie mich überhaupt unterrichten zu dürfen.
    Aber noch schlimmer als der Farsi-Unterricht war der Religionsunterricht. Carmen war katholisch und ging in den katholischen Religionsunterricht, und Angela war wie ich im islamischen Unterricht. Wer eine Christin als Mutter hatte, war meistens trotzdem Moslem, konnte es sich aber aussuchen. Meine Eltern waren beide Perser, ich konnte schlecht sagen, ich sei katholisch oder evangelisch. Und moslemische Kinder waren verpflichtet, am islamischen Religionsunterricht teilzunehmen, so lautete das iranische Gesetz. Der islamische Religionsunterricht im letzten Schuljahr sah so aus, dass ein kleiner iranischer Mann mit Bartstoppeln in einem schlecht sitzenden Anzug in die Klasse kam, seine Schuhe auszog und uns zeigte, wie man gen Mekka betete.
    Die ganze Klasse war schockiert darüber, dass seine Socken Löcher hatten. Ich saß als Fristi zwar in der letzten Reihe und bekam mit meinen Sprachkenntnissen so gut wie nichts davon mit, dachte aber schon während der ersten Stunde: Das geht jetzt zu weit! So etwas kann man mit mir nicht machen. Ich konnte mir nicht von einem Typen, der aussah wie ein Wassermelonenhändler, der an der Straße neben einem offenen Pick-up voller Melonen steht, irgendetwas beibringen lassen, was ich überhaupt nicht wissen wollte. Als er dann anfing, mit uns Suren aus dem Koran zu lesen, war mir völlig klar, dass ich mir ernsthaft etwas überlegen müsste, sonst würde ich womöglich für immer verrückt. Ich wollte generell nichts mit Religion zu tun haben und schon gar nicht mit der islamischen. Den Evangelischunterricht hätte ich zur Not noch mitgemacht, immerhin stammte Mr Molly von unserem Pfarrer Berner, und die machten nette Ausflüge und lasen schöne Geschichten. Aber das ging ja nicht, weil jeder wusste, dass ich keine deutsche Mutter hatte. Es gab zwei halbiranische Kinder in der Klasse, die nahmen an gar keinem Unterricht teil. Sarah war jüdisch, und Babak war Bahai. Da war mir klar, was zu tun war.
    Ich sagte am Anfang des fünften Schuljahres bei den Einzelgesprächen mit unserer Klassenlehrerin, ich sei jüdisch. Frau Sarmadi trug hinter meinem Namen »keine Religion« in das Klassenbuch ein, und der Fall war für immer erledigt. Ich hatte somit eine Freistunde in der Woche und musste mir keine löchrigen Socken ansehen. Am Ende des Schuljahres fragte meine Mutter beim Anblick meines Zeugnisses: »Warum hast du keine Religionsnote?«
    Und ich antwortete ernst: »Mama, Herr Yazdi war so viel krank, dass wir gar keine Note bekommen konnten.«
    Sie glaubte es. Und Angela war natürlich neidisch, dass ich mich heimlich durch das einzige unbewachte Tor vom Bushof stehlen und mir aus der Krämerladen-Eisdiele an der Ecke ein köstliches Vanilleeis in der Waffel holen konnte, während sie sich die löchrigen Socken von Herrn Yazdi ansehen musste und arabische Suren auswendig lernte.

    Angela sprach auch nicht besonders gut Persisch, obwohl sie in Teheran geboren war, kam aber im Farsi-Unterricht ganz gut mit und konnte schön schreiben. Meine Buchstaben sahen immer aus wie von einem Blinden gemalt. Angelas Vater war Arzt, genau wie meiner, aber er hatte in Paris studiert und dort Angelas deutsche Mutter an der Universität kennengelernt. Sie sprachen untereinander und mit den Kindern Französisch, was ich sehr vornehm fand. Angela sprach aber auch gut Deutsch und eben nicht besonders gut Persisch, weil sie zu Hause nie Persisch hörte, im Gegensatz zu mir, die mittlerweile nichts anderes mehr hörte, weil meine Eltern es plötzlich affig fanden, mit mir

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