Hinter dem Mond
Geschwistern, und alle winkten aufgeregt. Meine Mitschüler flogen ihren Müttern in die Arme, um mich herum herrschte auf allen Seiten helle Wiedersehensfreude. Nach und nach leerte sich der Bushof, und als das letzte Kind mit Mama und kleinem Bruder den Bushof verlassen hatte, stand ich immer noch da. Allein. Meine Mutter war nicht da, obwohl ich sie zweimal angerufen und ihr aufgeregt gesagt hatte: »Mama, wir kommen um fünf!«
Wir waren pünktlich angekommen, und die anderen Mütter waren da, nur meine Mutter respektierte keine Pünktlichkeit, schon gar nicht, wenn es um die Ankunft ihres einzigen Kindes ging. Um halb sechs stand ich immer noch am Tor, im Dunkeln, in meinem Skianzug, die Skier an die Wand gelehnt, mit den Skischuhen und meinem Koffer. Ich hatte mich unendlich auf die Ankunft nach meiner ersten langen Reise gefreut, und jetzt war es mir peinlich den Busfahrern gegenüber, die alle im Bushäuschen saßen und sich sicher dachten, ich hätte keine Eltern, und was sie mit mir machen sollten, wenn mich niemand abholte.
Dann kam sie endlich in ihrem kleinen gelben Renault vorgefahren. Sie blieb am Steuer sitzen, kaugummikauend und sichtlich gut gelaunt. Sie winkte mich herbei. Ich riss die Beifahrertür auf und brüllte sie an: »Wo warst du? Mann! Alle sind schon lange weg!«
Sie sah mich unschuldig an. »Ich war bei Pouri, du hast gesagt, fünf Uhr!«
»Aber es ist viertel vor sechs! Maaannnn!«
»Stell dich nicht so an …«
Ich stopfte meine Skier und die anderen Sachen auf den Rücksitz und ließ mich wütend auf den Sitz plumpsen.
Ich konnte es nicht glauben: Sie saß den ganzen Nachmittag bei Pouri und hatte so viel gequatscht, dass sie mich vergessen hatte! Und ich war ganz zittrig gewesen vor Wiedersehensfreude. Ich war traurig und wütend zugleich. Meine erträumte Ankunftsszene war völlig versaut.
»Und, wie war’s?«, grinste sie mich an und bog in die Yachtschal Kutsche. »Hast du mich vermisst?«
»Nein!«, brüllte ich. »Es war supertoll ohne dich! Ich wollte überhaupt nicht nach Hause.«
Als wir in der Wohnung waren, ging ich gleich in die Küche, um zu sehen, was es für ein Wiedersehensmenü für mich gab. Die Küche war sauber.
»Hast du nichts gekocht?«
»Ich war doch bei Pouri, ich mach später Spinat mit Ei.«
Ich konnte es nicht glauben. Ich hatte ihr am Telefon mehrmals vorgejammert, wie scheiße das Essen sei, und die anderen Kinder hatten sich schon alle auf ihr Lieblingsessen bei ihren Müttern gefreut. Spinat mit Ei fand ich doppelt asozial: Spinat und Ei eben. Aber meine Mutter liebte Spinat mit Ei. Sie liebte alles mit Ei. Bohnen, Tomaten und eben den scheiß Spinat, den sie mit Knoblauch so lange briet, bis er dunkelgrün und bitter war, und dann schlug sie Eier darüber. Das aßen meine Eltern mit Joghurt und Brot, und ich ekelte mich. Ich mochte nur Rahmspinat, aber den fand meine Mutter wiederum asozial.
Ich nahm Mr Molly und ging in mein Zimmer, legte mich mit ihm aufs Bett und sah in seine bernsteinfarbenen Augen. Ich schüttelte ihn etwas und fragte ihn, wieso ich eigentlich die ganze Woche Heimweh gehabt hatte. Es war doch superschön in den Bergen mit den anderen Kindern. Und Würstchengulasch war nicht so schlimm wie Spinat mit Ei. Mr Molly kuschelte sich an mich und leckte etwas an meiner Hand. Ich drückte ihn und spürte plötzlich wieder ganz klar und stark diese Leere in mir, dieses Ziehen im Bauch, als wäre ich die Einzige, die einfach kein Zuhause hat, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als endlich auch einmal nach Hause kommen zu können.
4
A m Ende der nächsten Sommerferien, ein paar Wochen nach meinem zwölften Geburtstag und bevor ich in die sechste Klasse kam, waren wir mit meinen Großeltern auf einer großen Hochzeit eingeladen. Es war nicht meine erste Hochzeit, ich war schon auf einigen gewesen, seit wir in Teheran lebten. Kinder rannten auf Hochzeiten immer solange zwischen den Erwachsenen herum, bis sie irgendwo einschliefen und in eine Ecke gelegt wurden. Diesmal war es aber eine Hochzeit im ganz großen Stil in einem exklusiven Privatclub, eine Abendveranstaltung, zu der man keine Kinder mitbringen sollte. Ich war dennoch explizit eingeladen. »Du bist jetzt in dem Alter, wo wir für dich einen Schohar, einen Ehemann, finden müssen, deshalb wurdest du eingeladen«, machte meine Mutter wieder einen ihrer bescheuerten Witze. »Also benimm dich, sonst findest du keinen Mann!« Sie lachte minutenlang fies vor sich
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