Hinter dem Mond
eigentlich keine Eier mochte, nahm den Reistopf mit einem Handtuch und ging ins Esszimmer. Ich balancierte die Teller hinterher.
Meine Mutter hasste Töpfe auf dem Esstisch und servierte immer alles auf Platten und Schüsseln, aber mein Vater liebte es einfach, weil er ein einfacher Mensch war und ein einfaches Leben liebte, wie er immer betonte.
Wir nahmen uns Reis, und meinVater klagte die ganze Zeit mit vollem Mund über seine aufmerksamkeitssüchtige Frau, meine Mutter. Irgendwann war er bei dem Thema Scheidung angelangt, nämlich dass es bei so einer Frau und einer solchen Ehe besser sei, sich scheiden zu lassen.
»Ja, das glaube ich auch«, sagte ich hoffnungsfroh. Ich sah plötzlich ein Licht am Ende des Tunnels. Ich würde mit meiner Mutter alleine wohnen, und alle Probleme wären gelöst! Herrlich!
»Dann wirst aber du eine arme Kreatur, du wirst ohne Eltern aufwachsen. Aus dir wird dann nichts werden. Verloren wirst du durchs Leben torkeln. Vielleicht wirst du drogenabhängig …«
Wieso sollte nichts aus mir werden? Was hatte ich jetzt davon, einen Vater zu haben, außer ständig schlechter Stimmung?
Wir hatten fertig gegessen. Ich trug die Teller in die Küche, stellte sie in die Spülmaschine und den restlichen Reis in den Kühlschrank und wollte in mein Zimmer gehen, »Reich und Arm« gucken.
»Komm, setz dich doch zu mir«, säuselte mein Vater.
Oh nein, dachte ich. Jetzt wird der auch noch anhänglich.
Ich wollte kein einziges Wort mehr über meine Mutter hören. Andererseits tat er mir leid, weil er nun allein sein musste. Warum tat er mir leid, wenn er allein war, aber ich selbst tat mir nicht leid? Ich war gerne allein.
Also setzte ich mich zu meinem Vater ins Fernsehzimmer, der jetzt auch hier Kette rauchte, und mir den ganzen Schlamassel ihrer Ehe, und zwar von Anfang an, erzählte. Das meiste kannte ich schon, aber er schien die Familie meiner Mutter wirklich zu hassen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit jemand verheiratet zu sein, dessen Mutter, Vater und Geschwister ich zum Erbrechen finden würde.
Im Moment war es so, dass ich in eine Familie hineingeboren war, in der ich eigentlich alle, außer meiner Mutter, zum Erbrechen fand.
Mein Vater schlug mir vor, die Woche, bis die Schule wieder anfing, jeden Tag mit ihm in die Praxis zu fahren, um ihm zu helfen und zu sehen, wie schwer er arbeitete.
»Nein, ich muss mich auf die Schule vorbereiten.«
Er glaubte mir die freche Lernlüge. Ich hatte mich in meinem Leben noch nie auf die Schule vorbereitet, und schon gar nicht in den Sommerferien. Das machten nur persische Kinder. Die gingen sogar in ihren Sommerferien auf eine Art Zusatz-Ferienschule, damit sie dadurch gestärkt das grauenvolle Schuljahr besser durchstehen konnten.
»Dann gehst du morgen früh runter zu deiner Großmutter. Da kannst du schön lernen.«
Ich wurde blass. Seine Mutter war das Schlimmste, was mir passieren konnte. Dagegen war die persische Zusatz-Ferienschule eine vergnügliche Institution.
»Nein, ich bleibe hier oben, sonst muss ich die vielen, vielen Bücher mitschleppen, die Katze ist allein, Großmutter hat dadurch Arbeit, ich will mein Zimmer aufräumen …« Mir fielen plötzlich haufenweise Argumente gegen meine Großmutter ein.
Es gab einen kurzen Kampf, bis mein Vater bereit war, mich alleine zu Hause zu lassen, wenn ich versprechen würde, das Haus nicht zu verlassen. Ich versprach es hoch und heilig.
Am nächsten Morgen rief ich, noch verschlafen, als Erstes meine Mutter im Büro an.
»Mama, du musst sofort zurückkommen, hier ist alles Scheiße.«
Sie lachte gehässig. »Jetzt sieht er, wie es ohne mich ist.«
»Nein, Mama«, schrie ich,»nicht für ihn, für mich! Ich halte es nicht aus mit ihm, wenn du nicht zurückkommst, laufe ich weg.«
»Wohin willst du denn?«, fragte sie erstaunt. Dann schlug sie mir vor, ich solle mit einem Taxi zu ihr ins Büro kommen und mit ihr Mittag essen.
Wir gingen in mein Lieblingsrestaurant, das Chattanooga, das war ein großer, poppiger Raum mit riesigen Fensterfronten im totalen Siebziger-Jahre-Look direkt am oberen Teil der Pahlawi Avenue im Norden Teherans gegenüber dem Schahanschahi-Park, wo ich manchmal den Jungs aus der Schule beim Skaten zugesehen hatte. Das Lokal war mit lila und pinkem Teppichboden und pinken tiefen Sofas und Ball Chairs eingerichtet. Ich bestellte wie immer Wiener Schnitzel und Pommes. Meine Mutter hatte einen bunten Salat vor sich stehen.
»Mama, ich kann nicht
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