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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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brachte den Kassettenrekorder aus dem Zimmer ihrer Mutter herüber, weil sie keinen eigenen besaß, eine Tatsache, die ich auch nicht verstand. Ich hatte mir vor einiger Zeit einfach den Dual-Plattenspieler, den Verstärker und die großen Boxen meiner Eltern aus dem Salon genommen, in meinem Zimmer installiert und bei einer Fahrt in den Süden der Stadt meinen Vater dazu gebracht, mit mir in ein Elektronikgeschäft zu gehen und mir ein Kassettendeck von JVC zu kaufen, was ich an den Verstärker angeschlossen hatte. Ich hatte mich also mit einem perfekten Soundsystem ausgestattet, was ich richtig laut drehen oder mit dem fetten Kopfhörer meiner Eltern hören konnte. Meine Mutter beschwerte sich ein paar Mal schwach, warum ich in meinem Kinderzimmer so eine große Anlage brauchen würde, und dass es ihre Anlage sei, aber ich antwortete nur: »Weil ich Musik hören will und ihr nicht.«
    Musik war mir superwichtig, und am wichtigsten war, dass sie sehr laut war, das ganze Zimmer musste voller Musik sein, damit man eintauchen konnte wie ein Fisch ins Wasser. Bevor ich mir die Anlage meiner Eltern genommen hatte, hörte ich meine Kassetten auch auf so einem Stereo-Kassettenrekorder, wie ihn Angela jetzt hereinbrachte. Ich legte die Kassette rein und spulte bis zu »I feel love«, dann drückte ich die Play-Taste. Angela hatte die Vorhänge zugezogen, wir stellten uns nebeneinander auf den Teppich und fingen in einer Art Robot Dance an, zu dem Lied zu tanzen. Ich nahm die Schreibtischlampe von ihrem braunen Holzschreibtisch und stellte sie hinter den Vorhang, das Kabel mit dem Schalter legte ich so, dass ich beim Tanzen ständig auf den Schalter trat, damit sich das Licht an- und abschaltete. Ich wusste damals nicht, dass es überhaupt so etwas wie Stroboskoplampen gab, ich wusste nur, zu der Musik und unseren Bewegungen musste das Licht ganz schnell an- und ausgehen.

    Kurz darauf fing die Schule wieder an, und alles wurde irgendwie anders. Mir gegenüber auf der anderen Seite des U aus Schultischen saß ein wahnsinnig hübscher Junge, der sitzengeblieben und jetzt neu in unserer Klasse war. Armin trug dieselben blauen Kickers wie ich, immer eine dunkelblaue Röhrenjeans und Sweatshirts mit dem Namen von amerikanischen Hochschulen darauf und war etwas kleiner als ich. Das machte mir aber nichts aus, ich fand ihn einfach nur wunderschön und verbrachte den gesamten Unterricht damit, ihn zu beobachten, anstatt wie sonst unterm Tisch Comics zu lesen oder mit Carola Briefchen zu schreiben. Ich musste mich darauf konzentrieren, ihn im richtigen Moment anzulächeln, und zwar so, dass er meine falschen Schneidezähne nicht sehen konnte. Ich war einfach wahnsinnig verliebt in ihn. Zur Schule zu gehen war plötzlich schön. Morgens aufzustehen war schön. Sich zu waschen war schön. Meine Mutter dachte, die plötzlich einsetzende Körperpflege hätte etwas mit der Pubertät zu tun. Ich stand morgens sogar eine Stunde früher ganz von alleine ohne mütterliches Geschüttel und Gerufe auf, um mich zu duschen, einzucremen, zu parfümieren und mir meine Brooke-Shields-Frisur zu stylen. Um mich dann, nach Erdbeer-Lipgloss und Apfelshampoo (hatte mir Carola aus Deutschland mitgebracht) duftend und lächelnd auf meinen Platz zu setzen und Armin den ganzen Vormittag zuzulächeln und eine Gänsehaut zu bekommen, wenn er rot wurde und schüchtern zurücklächelte.
    Obwohl wir erst in der siebten Klasse waren, hatten sich einige der coolen Jungs in den Sommerferien Motorräder gekauft, solche, wie die Großen in den oberen Klassen hatten. In Teheran gab es damals weder Führerschein- noch Helmpflicht, man musste also nur seinen Vater überzeugen. So fuhren jeden Morgen vierzehn-, fünfzehnjährige Jungs mit laut knatternden Enduro-Maschinen in Knallfarben durch das obere Schultor und parkten ihre Motorräder an den Fahrradständern. In unserer Klasse war Hartmut der Star. Er hatte längere, braune, gewellte Haare und braune Augen, trug enge Jeans mit Knöpfen statt Reißverschluss und weite Männerhemden, die er bis zum Bauchnabel aufgeknöpft ließ, und sah insgesamt aus wie einem Bravo -Sexposter entstiegen. Fast alle Mädchen in der Schule waren verliebt in Hartmut, wobei man seinen Namen persisch aussprach, Harrrtmuut, denn Hartmut sprach, wie alle Coolen, meistens nur Farsi und nur dann angestrengt sein holpriges Deutsch, wenn er im Unterricht dazu gezwungen wurde. Hartmut hatte eine Freundin aus der Stufe über uns, sie war älter

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