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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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mitbekam.
    »Reformen sind Maßnahmen, die ein Land verbessern. Der Schah hat sehr viel getan. Er hat Schulen und Universitäten gebaut, er hat Bildung und Kultur ins Land gebracht und sehr viel modernisiert. Du weißt ja nicht, wie es hier vor zwanzig oder dreißig Jahren aussah! Hier war nichts! Sein Vater hat erst angefangen, für etwas Zivilisation zu sorgen, und jetzt werden die schon wieder frech! Das ist natürlich die Unterschicht, die haben immer etwas zu meckern, die brauchen ja keine Bildung, keine Universitäten, kein Theater, kein Ballett, keine eigene Industrie! Das sind in deren Augen unnütze und auch gefährliche Modernisierungen. Die sehen nur ihre dreckigen Lehmbuden im Süden der Stadt und dann die Paläste hier oben und sind undankbar. Denen kann man es nie recht machen!«
    Sie verzog angewidert den Mund. Meine Mutter verachtete die Unterschicht.
    »Sind wir Imperialisten?«, fragte ich weiter, man musste ja wissen, wohin man gehörte.
    »Natürlich«, sagte mein Opa schnell. »Der Abschaum auf den Straßen weiß nicht, was er tut!«
    Ich war schockiert. Für mich war Persien das zurückgebliebenste Land schlechthin, trotz Theater und Ballett. Das Leben war schrecklich langweilig und anstrengend gleichzeitig, weil die einfachsten Dinge nicht funktionierten. Die meisten Menschen waren aber so unerträglich primitiv und zurückgeblieben, dass sie vollkommen anspruchslos waren. Es störte sie nicht, dass sie keinen Farbfernseher oder gekachelten Pool hatten. Oder dass ihre Strümpfe kratzten. Es gab einfach nichts, was wirklich perfekt und zu gebrauchen war, und das bisschen, was es gab, funktionierte auf unterstem Niveau. Allein schon der Straßenverkehr war ein schreckliches Chaos. Niemand hielt sich an Regeln, es gab keine Spuren, Schilder wurden grundsätzlich ignoriert. Die Bauarbeiter waren notgeile Analphabeten, meistens aus Afghanistan und in Schlafanzughosen. Sie hatten nichts gelernt, deshalb konnte auch keiner etwas, und nichts wurde richtig gemacht. Jeder schluderte alles falsch und irgendwie hin, Hauptsache, man verdiente Geld damit. Nur Ärzte, die im Ausland studiert hatten, konnten ihren Job. Wer im Iran studiert hatte, konnte schon mal gar keine richtige Karriere machen. In staatlichen Krankenhäusern würde man an Infekten sterben, sagte mein Vater immer. In staatlichen Schulen saßen über vierzig Schüler in Uniformen aus kratzigen Stoffen zusammengepfercht in einer Klasse zusammen. Männer gafften einen auf der Straße an, als hätten sie noch nie ein weibliches Wesen gesehen, es gab nur eine einzige, mickrige Autobahn von Teheran nach Karadj. Genauso blöd waren die Gesetze: Frauen durften ohne die Erlaubnis ihrer Väter und später ihrer Ehemänner nicht aus dem Land ausreisen (was ich besonders asozial fand), und dennoch wollten die Mädchen schon ab achtzehn nichts anderes, als von irgendjemandem geheiratet zu werden. Sie lebten so lange bei ihren Eltern – manche übten einen kleinen Alibi-Job aus –, bis sie zu ihrem Ehemann zogen, und spätestens dann waren sie nur noch Hausfrau und Mutter. Keine Frau wollte alleine wohnen. Es hätte ihnen allein aber auch kein Immobilienmakler eine Wohnung vermietet. So war es auch in den höchsten Kreisen und modernsten Familien (die andere Sache, die ich superasozial fand), und die Frauen fanden das ganz normal und wollten auch gar nicht ausbrechen und etwas Cooles alleine machen. Das alles und noch viel mehr fand ich unerträglich und deprimierend, und die demonstrierten jetzt auch noch gegen zu viel Modernisierung? Wo war denn hier die Modernisierung außer den großen amerikanischen Zanussi-Doppelkühlschränken in jeder Blechküche?
    Mein Großvater wiegte den Kopf besorgt hin und her: »Möge Allah uns und dieses Land schützen.«
    Das Volk hatte sie doch nicht alle, dachte ich. Ich würde den Schah rauswerfen und es richtig schön machen in Teheran, wenn es an mir läge. Ich würde Architekten und Innenarchitekten aus Europa holen und denen sagen: Hier, bitte, einmal alles so schön machen wie bei euch.
    Und dann würde ich wichtige Firmen wie Haribo, Bahlsen, Langnese und Dr. Oetker bitten, hier Fabriken zu bauen. Es würde endlich Kinderschokolade und anständige Kartoffelchips geben. Und die Geschäftsleute würde ich zwingen, anständige Waren aus Europa zu verkaufen und nicht lauter selbst gebastelten Schrott, den niemand braucht. Taxifahrer müssten sich unter den Achseln waschen, Tschador und Schlafanzughosen tragen

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