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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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ist die Hochzeit?«
    Und: »Sieht er denn wenigstens gut aus?«
    »Er ist sehr hübsch. Er ist der Allerschönste«, sagte ich ernst.
    Dann stand ich auf, zog meine Bluse hoch und zeigte ihnen meinen Bauch.
    Sie verstummten alle drei sofort. Meine Mutter war blass geworden, legte vor Schreck die Hand vor den Mund und quietschte: »Iihn tschie?« (Was ist das?)
    Ich setzte mich wieder hin und sagte zufrieden: »Hat er gestern gemacht. Damit ich ihm gehöre.«
    Meine Mutter hatte plötzlich eine tiefe Falte zwischen den Augenbrauen und kleine fiese Schlitzaugen. Sie zischte mich an: »Was ist das? Mir scheint, du bist vollkommen verrückt und verwildert! Ich glaube, es fehlt nicht mehr viel, und du wirst uns hier deinen dicken Bauch zeigen!«
    Farideh und Parri lächelten befangen. Die eben noch so gute Stimmung war plötzlich total im Keller.

    Am nächsten Tag fehlte Armin in der Schule.»Armin ist krank«, sagte die Klassenlehrerin zu uns. Ich blickte in allen Stunden auf den leeren Stuhl und war frustriert. Ich hatte an dem Geschrei meiner Mutter gestern im Auto gemerkt, dass es wohl verboten war und etwas Besonderes bedeutete, wenn ein Junge einem Mädchen seinen Namen auf den Bauch kritzelte.
    »Wo hat er sich sonst noch verewigt?«, schrie meine Mutter im Auto ihre Windschutzscheibe an. »Und du bist wohl die Schlampe, die alle markieren können, was? Auf dich kann sich jeder mal legen! Bald kommst du mit einem dicken Bauch nach Hause!«
    Meine Mutter schrie so laut, dass die kleinen, dreckigen Bettlerjungs, die an jeder Ampel lauerten und sich bei Rot mit ihren schmutzigen Lappen über die Windschutzscheiben der Autos hermachten, nicht herantrauten und ängstlich zu ihr rüberschielten.
    »Kaum bin ich weg, geht meine Tochter auf den Strich!« Kurzer, verächtlicher Seitenblick: »Du siehst auch so aus! Was sind das überhaupt für Haare? Wie wäre es mal mit einem Kamm?«
    »Maaaannn, Mama …«
    Sie wusste doch, dass ich Kämme und Bürsten hasste. Gebürstete Haare waren einfach Scheiße.
    »Deinetwegen habe ich mein ganzes Leben versaut mit diesem Scheißkerl, und du wirst eine Hure … woher hast du das? Ist deine Mutter etwa eine Hure?«
    Ich hätte gern geantwortet: »Leider nicht, dazu bist du viel zu uncool.« Aber dann hätte ich mir garantiert eine gefangen, und sie saß am Steuer, wer weiß, wo in meinem Gesicht sie mit ihren langen Krallen gelandet wäre.
    Ich war froh, als wir bei uns vor dem Tor ankamen, ich aussteigen, die Autotür laut zuknallen konnte und sie mit quietschenden Reifen Gas gab und weiterfuhr.
    An diesem Abend fragte ich meinen Vater, wann sie denn endlich geschieden seien.
    »Ich will gar keine Scheidung«, sagte der auch noch.»Wegen dir! Sonst wirst du unglücklich und kommst auf die schiefe Bahn und wirst drogenabhängig. Das endet immer so, wenn man kein stabiles Elternhaus hat.«
    Er dachte also auch noch, er würde mir ein stabiles Elternhaus bieten. Der glaubte anscheinend nur, was er glauben wollte, und ich sagte nichts mehr, ging in mein Zimmer, legte die Electric-Light-Orchestra-Kassette in das Tapedeck, setzte mir die großen Kopfhörer auf, drehte die Musik voll auf und stellte mir ein Leben ohne stabiles Elternhaus vor. Langsam füllten sich erst mein Kopf und dann mein ganzer Körper mit der schönen Musik, und für den ganzen hässlichen Scheiß, der draußen direkt hinter meiner Zimmertür begann, gab es überhaupt keinen Platz mehr.

    Als ich am nächsten Sonntag aus der Schule kam, war meine Mutter wieder da.
    Sie öffnete die Wohnungstür, bevor ich aufschließen konnte.
    »Was machst du denn hier?« Ich schaute blöd.
    »Ich wohne hier, entschuldige mal.«
    Sie war gut gelaunt.
    »Zieh deine dreckigen Schuhe aus und komm ins Schlafzimmer.«
    Jetzt ging das mit der beschissenen Schuheauszieherei wieder los. Ich musste zu Hause nur wegen meiner Mutter die Schuhe ausziehen, weil die natürlich dreckig waren, wie sie fand, aber andere Leute mussten das nicht. Die Wochen, in denen sie nicht da war, hatte ich meine Schuhe selbst im Bett anbehalten. Das war für mich der Ausdruck größtmöglicher Freiheit. Nur bei meiner Großmutter zog ich die Schuhe sofort aus, weil ich wusste, dass sie sonst krank würde vor unterdrücktem Ärger und Ekel, und bei vielen anderen Persern mussten wenigstens alle die Schuhe ausziehen, aber bei uns war nur ich das Schwein, das mit Straßendreck die hässlichen, teuren Teppiche versaute. Meine Mutter war immer barfuß, sie hasste

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