Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
Vom Netzwerk:
schwarzen Tschadors, die sie am Kopf festgebunden hatten, damit nichts verrutschen konnte, während sie ihre Fäuste zum Himmel reckten und »marg bar Schah« kreischten. Die Männer sahen alle ziemlich asozial aus, brüllten sich die Seele aus dem Leib und hielten Plakate und Transparente hoch, auf denen Parolen gegen den Schah und gegen Amerika standen. Es war definitiv die Unterschicht, die sich hier zusammengetan hatte. Leute, mit denen man noch nie etwas zu tun gehabt hatte. Sogar unsere Busfahrer sahen gepflegter und intelligenter aus. Der Anblick war furchtbar, und ich hatte zum ersten Mal riesengroße Angst. Was würde passieren, wenn diese Leute gewannen und alles so wurde, wie sie es wollten? Warum trugen die Frauen überhaupt schwarze Tschadors? Der Anblick der unglaublich vielen, schwarz verhüllten Frauen verängstigte mich noch mehr als die aggressiven Männer.
    Der Schah musste jetzt schnell irgendetwas tun, damit alle damit aufhörten. Wo war denn dieser Geheimdienst Sawak, wenn man ihn brauchte?
    Ich hatte mich an meine Eltern gedrückt, die auch nichts mehr sagten. Plötzlich hörte man es zischen, dann stank es verbrannt, und alle fingen an zu schreien und zu rennen.
    Wir rannten auch weg, in eine Seitenstraße und dann zum Auto. Mein Vater zog mich und meine Mutter hinter sich her, stopfte uns ins Auto und fuhr los, an den rennenden Menschen vorbei.
    Er schüttelte die ganze Zeit vor Panik und Entsetzen den Kopf.
    »Das war gefährlich, das hätte ich mit euch nicht machen dürfen, das war ein Fehler, oh mein Gott, Gott hat sich unser erbarmt.«
    Aber ich fand es gut, dass wir uns das aus der Nähe angesehen hatten. Im Fernsehen sah alles gar nicht so schlimm aus. Menschenmassen, die sich schreiend durch Straßen schoben, in die man sowieso nie geht, sind etwas anderes, als wenn man sie in echt sieht, den Geruch von Blut, Schweiß und Gewalt in der Nase. Und dieser unfassbare Hass. Wieso hassten die den Schah so? Ich musste plötzlich an einen Comic denken. Es ging um die französische Kaiserin Marie Antoinette, die in ihrem Schloss in Paris lebte, bis eines Tages das wütende Volk den Palast stürmte und sie, ihren Mann und ihre Kinder köpfte.
    Ich stellte mir vor, wie die schöne Frau vom Schah in ihrem Palast in Niawaran saß und sich fürchtete, auch geköpft zu werden. Die wütenden, in Lumpen gekleideten französischen Revolutionäre in meinem Comic sahen aber, verglichen mit den Leuten auf unseren Straßen heute, richtig nett aus.
    Abends saßen meine Eltern mit mir im Fernsehzimmer und machten sich Sorgen.
    »Der Schah ist viel zu weich«, sagte meinVater,»er muss aus Helikoptern mit Maschinengewehren auf die Drecksschweine schießen. Dann ist schnell Ruhe.«
    »Warum greift das Militär nicht ein? Dieses dumme Pack niederzuschlagen wird doch kein Problem sein?«, fragte meine Mutter.
    »Vielleicht will er zeigen, wie machtlos die sind, indem er sie ignoriert. Er hat Angst vor Bürgerkrieg. Und er hat Angst vor Amerika«, sagte mein Vater.
    »Der Scheiß-Carter! Und die Scheiß-Engländer! Die sind doch an allem schuld! Die wollen ihn loswerden, damit sie wieder unser Öl stehlen können … er ist zu mächtig geworden, er hat sie genervt, diese dreckigen Schweine!«
    Ich hatte das Gefühl, dass wir alle verloren waren, wenn diese Leute nicht damit aufhörten, schlechte Stimmung zu verbreiten. Alle saßen zu Hause und hatten Angst vor ein paar wildgewordenen Wassermelonenverkäufern und ihren stinkenden hässlichen Frauen.
    Als wir endlich wieder zur Schule konnten, war Armin immer noch nicht da. Ich konnte es nicht glauben, wie lange jemand krank sein konnte. In meiner Freistunde sah ich eine sehr elegante, hübsche Frau neben dem Eingang zum Lehrerzimmer stehen. Irgendjemand sagte, das sei Armins Mutter. Ich setzte mich auf eine der grünen Stangen und beobachtete sie in aller Ruhe. Sie trug ein braunes Cordjackett und einen Tweedrock und hatte ihre honigfarbenen Haare genau wie meine Mutter frisiert. Sie stand regungslos in der Sonne, hielt sich an ihrer Handtasche fest, die von ihrer Schulter herabhing, und wartete. Als es endlich klingelte, stand sie immer noch regungslos da. Sie bewegte sich erst, als unsere Klassenlehrerin aus einem der Bungalows auf sie zukam und ihre Hand schüttelte. Dann gingen die beiden ins Lehrerzimmer. Ich war mir sicher, sie wollte den Lehrern nur erklären, dass Armin durch seine lange Abwesenheit sehr viel Stoff verpasst hätte und jetzt etwas schonend

Weitere Kostenlose Bücher