Hinter dem Mond
Künstlerfamilie, genau so eine, wie ich gerne gehabt hätte. Ediths Gedichte waren schon in einigen persischen Tageszeitungen veröffentlicht worden, weil sie als begnadeter Nachwuchs dieser talentierten Sippe gehandelt wurde, natürlich vor der Revolution. Jetzt hatten Popstars nichts mehr zu lachen. Zu allem Übel besaß Ediths Mutter auch noch eine Boutique, mit genau den Klamotten, die ich in der Vogue und Brigitte bewunderte. Also wieder genau das, was ich auch gerne gehabt hätte. Sie verkaufte nur an Privatkunden und flog mehrmals im Jahr nach Paris, um neue Kleider für ihre Kundinnen mitzubringen. Und jedes Mal brachte sie Edith einen Berg Zeug mit, das mir meine Mutter nie kaufen würde, weil »ein Schulmädchen so etwas nicht trägt«. So Vogue eben. Unpraktisch, teuer und sinnlos in den Augen meiner Mutter.
Ediths Ma war nur kurz mit einem deutschen Schönheitschirurg aus München verheiratet und hatte ihn zwei Jahre nach Ediths Geburt verlassen, was ich schon wieder obercool fand. Nicht wie meine Mutter, die ständig betonen musste, dass sie nur wegen mir das Elend mit meinem Vater ertrug. Ediths Mutter hatte Herrn Jasper, den geilen Schönheitschirurgen aus München, einfach sitzenlassen, um mit Klein Edith in ihr glamouröses Leben als Society-Girl in Teheran zurückzukehren. Ein paar Jahre zuvor hatte Edith eine Zeitlang bei ihrer Oma gewohnt und fuhr deshalb in meinem Bus, weil die Oma in unserer nicht so poshen Gegend wohnte. Während dieser Zeit, wir waren etwa zwölf, hatte Edith einmal ein so unglaublich schönes Kleid an, dass ich bei ihrem Anblick schlucken musste. Es war dunkelgrün gestreift, mit weißer Spitze und Samtbändern, und sah so aus wie die Sonntagskleider, die die reichen Mädchen in »Unsere kleine Farm« in der Kirche trugen. Ein Traum.
»Dein Kleid ist so schön«, sagte ich demütig. »Wo hast du das her?«
Edith zog sich den feinen Organzastoff über die Knie und sagte hochnäsig, ohne mich richtig dabei anzusehen: »Aus Paris.«
Ihre Antwort knallte an diesem Tag im Bus in mir wie eine Ohrfeige. Ich fühlte meine ganze Eingesperrtheit und Hoffnungslosigkeit ohne coole Klamotten oder Zugang zu den Dingen, die ich haben wollte, oder besser, haben musste, um mich endlich wie ich selbst fühlen zu können und nicht wie ein armes Schwein. Jetzt hatte ein anderes Mädchen dieses unfassbar schöne Kleid an, was wie für mich gemacht war, und sah auf mich herab. Und ich konnte sie verstehen, ich hätte es an ihrer Stelle auch getan – auf eine, die verbeulte Cordhosen, dreckige Turnschuhe und ein verwaschenes Sweatshirt anhatte.
Jetzt war also genau diese Edith in meiner Klasse, und ich sah sie und ihre Klamotten jeden Tag. Wir waren nicht miteinander befreundet. Ihre beste Freundin war Bita, das schönste Mädchen der Schule, die ziemlich nah an Brooke Shields war im Gegensatz zu mir, die sich äußerlich immer mehr von ihrem Schönheitsideal entfernte. Bita war auf allen Partys der Älteren eingeladen, alle, wirklich alle Jungs standen auf sie, und sie hatte einen Boyfriend von der Internationalen Schule, auf die ich damals nicht durfte, weil dort alle Kinder ganz besonders abgefuckt waren, wogegen wir Deutschen bieder und harmlos waren. Der Boyfriend war schon achtzehn, fuhr eine knallrote, laut knatternde Geländemaschine, mit der er oft in den Hügeln von Mirdamad herumsprang, und holte Bita und Edith oft mit seinem Benz ab. Aber trotz alledem war Bita ziemlich nett, viel netter als Sonja und ich. Ich konnte mit einer, die so gut aussah, nett und frühreif war und von allen angehimmelt wurde, überhaupt nichts anfangen.
Außerdem waren Edith und Bita viel zu persisch für mich. Sie unterhielten sich nur auf Farsi, nicht auf Deutsch, wie Sonja und ich, und mit ihrem Freund sprach sie Englisch, was ich affig fand. Sie waren auch beide glühende Googoosh-Fans, liebten persische Musik, Tanz und persische Kinofilme, die ich indiskutabel fand.
Edith und Bita waren also so was wie Glamour-Girls aus einer ganz anderen Welt. Und deshalb war es normal, dass sie sich überhaupt nicht für mich interessierten. Ich war vorlaut, kindisch, spätreif und spielte immer noch lieber heimlich mit Mr Molly, den ich als Baby mit Windeln im Kinderwagen herumfuhr, als mit den bescheuerten Jungs, die ich höchstens beneidete, aber nicht bewunderte. Außerdem sprachen Edith und Bita ständig von ihren Müttern und Omas, als wären das großartige und schillernde Persönlichkeiten. Von Ediths
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