Hinter dem Mond
und am besten ganz weg, weg von diesem Planeten, zurück auf die sichere Erde.
Ich ging zur Tür, natürlich klemmte wie immer das beschissene persische Drehschloss.
Er kam hinterher.
»Verschwinde!« Ich war hysterisch. »Fass mich bloß nicht an. Hau ab.« Ich schubste ihn weg.
»Was ist denn mit dir los? Ich bin vollkommen geschlechtsreif, und wenn ich eine Freundin habe, dann möchte ich auch irgendwann mit ihr schlafen.«
Ich starrte ihn an. Das waren die schrecklichsten Worte, die je jemand zu mir gesagt hatte.
Seine Worte hingen im Raum fest, sie verflüchtigten sich nicht. Was ich da gehört hatte, war einfach unvorstellbar. Die Tür ging auf, ich rannte raus und fing an, gegen Sonjas Tür zu hämmern.
»Sonja, Sonjaaaaaa!«
Sie öffnete die Tür, hinter ihr der lange, dreckig grinsende Michael.
»Ich will nach Hause«, schrie ich panisch und rannte nach unten zum Telefon.
Meine Mutter war dran.
»Hallo?«
»Mama!«, sagte ich mit tränenerstickter Stimme. »Mama, Mama, hol mich bitte hier ab.«
Eine Dreiviertelstunde später stand der grüne Volvo vor Sonjas Haustür. Mein Vater war auch mitgekommen.
Die Jungs waren schon weg. Ich hatte dem verwirrten Cyrus noch erklärt, dass jetzt Schluss sei, weil ich mit so einem ekligen Schwein nicht zusammen sein könnte. Der armen Sonja war in ihrem Zimmer zwar dasselbe mit Michael widerfahren, aber sie war nicht traumatisiert, nur etwas verstört.
Ich kroch auf das karamellfarbene Leder des Rücksitzes.
»Und, hattet ihr Spaß?«, fragte meine Mutter interessiert.
Ich brach hinten laut in Tränen aus.
Meine Mutter drehte sich zu mir um und schüttelte kurz den Kopf: »Habt ihr gestritten?«
Dann sah mich mein Vater im Rückspiegel kurz an, griff ins Handschuhfach, holte eine Rolle Klopapier heraus und reichte sie mir nach hinten.
Sie ließen mich in Ruhe und stellten keine blöden Fragen. Das war einer dieser raren Momente, in denen ich mich absolut und uneingeschränkt aufgehoben und beschützt fühlte und meine Liebe zu meinen Eltern spüren konnte. Ich war zu Hause, geborgen und absolut sicher.
Am nächsten Tag in der Schule hatte Sonja einen Freund, und ich hatte keinen mehr. Das war ein wenig blöd wegen des inneren Gleichgewichts, aber ich war trotzdem mehr als froh und erleichtert.
Cyrus ignorierte mich jetzt zum Glück, erzählte aber überall in der Jungsklasse herum, dass ich eine Schlampe sei.
Mich fragten dann einige Jungs, sie hätten gehört, ich sei eine Schlampe, so eine, die die Jungs anmacht, und dann würde nix laufen, und ob das stimme.
»Ja, total«, sagte ich dann und nickte heftig.
»Warum denn?«
»Weil ich prüde bin.«
»Echt? Schade. Du siehst gar nicht so prüde aus«, sagte der dämliche Junge dann auch noch und glotzte an mir rauf und runter wie ein Hund an einem Knochen hinter einer Glasscheibe.
»Doch, bin ich aber.« Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.
Ich hatte überhaupt keine Lust darauf, auch nur noch ein einziges Mal ein wildgewordenes Stück Fleisch in meinem Mund zu haben.
In den Weihnachtsferien sollten Sonja und Sarah zu ihrer Mutter nach Würzburg fliegen. Ich schrieb Sonja eine lange Liste, auf der unter anderem eine Jethose für den Skikurs stand. Aber ihr Vater drückte ihr und Sarah am Flughafen in Teheran zum Abschied jeweils fünfzig Mark in die Hand, als Taschengeld für zwei Wochen Ferien in Deutschland. Ich war entsetzt, als mich Sonja aus Würzburg kurz anrief und mir das empört erzählte. Ihr Vater hatte viel mehr Geld als meiner und war so verdammt geizig.
Jethosen kosten mindestens zweihundert Mark, sagte Sonja, das könne ich vergessen. Ihre Mutter würde das auch nicht auslegen.
»So eine verdammte Scheiße!«, fluchte ich und hasste alle Erwachsenen und ihren ekelhaften Geiz.
Ich brauchte dringend eine Jethose, meine alte Skihose war unsexy und deswegen völlig untragbar. Der Skikurs würde dieses Jahr zwar nur mit Mädchen stattfinden, aber das machte alles eher noch schlimmer. In unserer Klasse war jetzt die größte Modepuppe der Schule überhaupt, Edith Jasper. Ihre Mutter war die Schwester des damals größten männlichen Popstars Persiens. Er war berühmt und fast so etwas wie ein Nationalheld. Alle außer mir liebten seine Songs. Mir war er egal, er war bloß so berühmt, dass sogar ich das mitbekommen hatte. Und ihre Schwester, also Ediths Tante, war eine bekannte Dichterin und Autorin. Das hatte mir meine Mutter erzählt. Sie kam also aus einer sogenannten
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