Hinter dem Mond
Mutter sprachen sie wie von einem Filmstar, den man zufällig privat kennt. Ich sprach nie von meiner Oma und von meiner Mutter. Einmal sah ich Ediths Mutter in der Schule, und mir wurde einiges klar. Eine hochmütige, für eine Perserin hochgewachsene Frau kam hereingerauscht, als würde sie dabei fotografiert werden. Sie war extrem geschminkt, viel zu extrem für einen Besuch bei deutschen Lehrern, aber nicht nuttig, sondern cool, passend zu dem todschicken Turban und dem Kostüm mit dem langen weiten Rock und einem breiten Ledergürtel. Das war mehr als Vogue . Das war absolutes Vogue -Titel-Niveau.
Bita, das schönste Mädchen der Schule, und Edith, die Tochter des Topmodels, redeten außer von ihren Müttern und ihren Boyfriends in den Wochen vor Weihnachten auch vom bevorstehenden Skikurs. Edith hatte diesen Skianzug mit Jethose von ihrer Mutter geschenkt bekommen, aus Paris natürlich, und Bitas Eltern waren gerade in New York und hatten ihr alle enganliegenden Jet-Wünsche erfüllt.
Und ich sollte mit meinem wattierten Anzug mit peinlicher Latzhose vom vorletzten Winter, den mir Paulis Mutter von C&A mitgebracht hatte, mitfahren. Eine wattierte hellblaue Kartoffel statt der Vogue -Wintersport-Ausgabe.
»Willst du Ski laufen oder wieder nur deine Klamotten vorführen?«, fragte meine Mutter. »Es geht doch ums Skilaufen, um den Sport, nicht um Poserei.«
»Mama, in einem Scheißanzug fahre ich nicht!«
»Als ob alle an der Piste stehen, um zu sehen, was Fräulein Lilly für einen Anzug anhat.«
»Mama, alle haben eine Jethose!«
Meine Mutter äffte mich nach: »Alle haben eine Dschethose … Wer ist ›alle‹? Ich hab die anderen Kinder selbst gesehen, alle hatten solche Anzüge wie du an! Ganz normal, nur du spinnst wieder herum. Hat Sonjas geiziger Vater ihr etwa eine Jethose gekauft?«
Ich war so dumm gewesen und hatte ihr das Fünfzig-Mark-Drama erzählt.
»Nein, aber Sonja ist es egal.«
»Es ist auch egal! Nur du denkst, dein ganzes Leben ist eine einzige Modenschau. Du gehst zum Sport! Nicht auf eine Modenschau!«
»Mit dem Kackanzug fahr ich nicht.«
»Dann fahr eben nicht. Umso besser.«
»Scheiße. Scheißland. Alles scheiße …«, schrie ich.
»Lilly, bitte. Mach dich nicht lächerlich.«
Ich rannte in mein Zimmer, schloss laut die Tür und legte eine Platte aus dem Doppelalbum »The Wall« auf den Plattenteller.
»We don’t need no education, we don’t need no thougt control …«, sangen David Gilmour und Pink Floyd. Ich musste mich konzentrieren, ich musste eine coole Hose organisieren. Es gab keine Alternative.
Ich wollte dieses Jahr keine neuen Skier und keine neuen Schuhe. Ich liebte meine Atomic-Rennski und die Tecnica-Schuhe vom letzten Winter und wollte mich nicht von ihnen trennen. Außerdem war ich ja letztes Jahr kaum damit gefahren. Ich schleppte also meine schmalen, extraleichten roten Skier zum Eingang des Sportgeschäfts neben der Deutschen Buchhandlung, um die Bindungen einzustellen, blickte ins Schaufenster und bekam einen Schlag: Zwischen lauter Skischuhen und der Schneedeko hing ein einziger Skianzug: eine tiefdunkelblaue Hose, mit weiß-silbernen Stretch-Rennstreifen an der Seite, breiten silbernen Reißverschlüssen am hinteren Saum und eine dicke weiße Daunenjacke.
»Schau!« Ich rief meiner hinter mir her schlendernden Mutter zu, rannte in den Laden, warf meine Skier gegen die Wand und sagte zu einem der Typen: »Wo gibt es den Anzug?«
Der Typ sah mich mitleidig an und meinte:»Wir haben nur diesen einen. Aber das ist nicht Ihre Größe.«
Ich rannte ihm hinterher: »Welche Größe ist es denn?
»Nemidunam … (Weiß ich nicht)«, sagte er gelassen.
Meine Mutter hatte sich mittlerweile genervt auf das Sitzmöbel in der Mitte des Ladens gesetzt: »Lilly, beeil dich bitte, ich hab keine Lust.«
Meine Mutter hatte nie Lust. Keine Lust zu haben, war ihr Lebensmotto. Ich musste sie immer überreden, an ihr zerren, sie zwingen, anschieben oder zur Not auch erpressen. Ohne Druck ging nichts.
Ich ignorierte sie und ihr leidendes, angewidertes Gesicht.
Stattdessen ging ich zu dem Typ an der Kasse und sagte, er solle mir bitte den Anzug aus dem Schaufenster holen.
Es dauerte endlos, meine Mutter war vom Jammern zum Schimpfen übergegangen.
»Wozu nervst du die armen Leute, der Anzug ist hässlich, ich kaufe dir den nicht, falls du das denkst, du kannst dir die Mühe sparen. Du machst denen nur unnötig Arbeit, so ein scheußliches Teil, und dann diese
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