Hinter dem Mond
kleine Jacke, viel zu kurz, darin siehst du aus wie ein Astronaut …«
Endlich war ich mit der Hose in der Umkleidekabine. Größe 36 und knalleng. Ich musste mich hineinpressen, und um den Reißverschluss hochzuziehen, musste ich mich in der Umkleide auf den Boden legen und die Luft anhalten. Aber wie das ging, wusste ich ja schon. Ich blickte in den Spiegel. Es sah großartig aus!
Ich kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht raus, nahm die Jacke, zog sie an und setzte mich neben meine Mutter.
»Du siehst schrecklich aus! Wie ein Raumfahrer!«
»Genau, Mama. Space Oddity!« Ich hatte die Platte von David Bowie.
»Was kostet der?«, fragte sie den Shop-Besitzer angekotzt.
»Zweitausend Toman, Chanum.«
Meine Mutter schnaubte. Das waren fast tausend Mark. Mein hellblauer C&A-Anzug hatte ungefähr hundert Mark gekostet.
Sie wedelte mit der Hand. »Los, steh auf, zieh das aus. Ich zahl doch keine zweitausend Toman, damit du dich vor deinen Mitschülerinnen aufspielen kannst. Zieh deinen alten Anzug an, wenn du Ski laufen willst, und wenn nicht, lass es bleiben.«
Sie nahm ihre Handtasche: »Du siehst lächerlich aus. Wenn er wenigstens schön an dir aussehen würde!«
Sie stand auf und ging einfach raus. Mir war es unendlich peinlich vor dem Mann.
»Lassen Sie mich das nachher in Ruhe klären. Ich komme morgen wieder.«
Ich rannte ihr hinterher. Sie stand vor dem Buchladen.
»Willst du hier noch hinein?«
Besser als nichts, dachte ich.
Es gab keine neuen Sachen, seit dem letzten Mal, als wir dort waren. Noch nicht mal den Stern , die Bunte , die Bravo und die Brigitte , die ich dort immer kaufte.
Die Besitzerin kam auf uns zu und entschuldigte sich mit leidendem Gesicht. Mehrere Lieferungen Bücher würden im Zoll festhängen, das Amt für Zensur würde die Bücher und Magazine zur Einfuhr nicht freigeben, weil da nichtislamisches Gedankengut drin sei. Von den vielen halbnackten Frauen in den Magazinen ganz zu schweigen.
»Wir haben vor vier Wochen eine Lieferung Zeitschriften bekommen, in denen alle Frauenkörper geschwärzt waren. Aber ich glaube, das ist denen auf die Dauer zu viel Arbeit.«
Sie machte ein sorgenvolles Gesicht. Ich machte auch eins. Meine Informationszufuhr war blockiert. Das war das Schlimmste, was passieren konnte, denn im Fernsehen und im Radio sah man nur noch Moscheen mit unrasierten, betenden Männern oder Propaganda für die islamische Regierung. Wir schalteten den Fernseher überhaupt nicht mehr an. Bald würde ich nicht mehr wissen, was auf der Welt läuft, und verblöden. Ich würde nichts über die neuesten Bücher, Filme, Fernsehsendungen wissen. Ich würde nicht wissen, worüber sich in Deutschland gerade Jugendliche in meinem Alter unterhielten und was sie dabei anhatten. Welche Musik sie hörten, welche Filme sie sahen und welche Filmstars sie cool fanden. Ich würde von den neuesten Produkten, die es hier sowieso nicht zu kaufen gab, nie etwas erfahren, da ich die Reklame dazu nicht sehen könnte. Und dass die Mullahs es sich anders überlegten und halbnackte Frauen plötzlich normal fanden, war auch unwahrscheinlich. Meine Hoffnung war, dass sich die Mullahs schnell wieder verpissten, weil sie einfach nur Mullahs und keine Politiker waren. Aber keiner tat etwas dafür, alle jammerten bloß und machten alles mit, man sah inzwischen immer mehr Frauen auf der Straße, die einen Tschador oder ein Kopftuch trugen. Sogar hier oben im schickeren Norden der Stadt.
Warum tun die das, die blöden Kühe, dachte ich dann immer. Damit geben sie dem idiotischen Gequatsche doch nur recht. Wenn man die Mullahs einfach ignorieren würde, wirklich alle, dann könnten sie nichts tun, sie könnten doch nicht alle einsperren.
Im Auto fiel mir der Anzug wieder ein. Das andere Problem. Ich hatte keine Lust mehr, meiner geizigen und missgünstigen Mutter das Geld aus den Rippen zu schneiden und mich dabei auch noch beleidigen zu lassen. Sie hatte den Anzug gar nicht verstanden. Sie hatte Skilaufen nicht verstanden. Sie setzte sich im Winter sogar immer eine Mütze auf, um ihren Kopf vor Kälte zu schützen. Jemand, der im Winter gerne seinen Kopf bedeckt, weiß nicht, was eine Jethose ist. Ich hätte mir lieber einen Arm abgeschnitten, als eine Mütze aufzusetzen.
Nach dem Abendessen ging ich ins Fernsehzimmer zu meinem Vater, als meine Mutter noch in der Küche die Spülmaschine einräumte, die Essensreste verstaute und aufpasste, dass Massume Chanum alles richtig sauber machte. Wir
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