Hinter dem Mond
Riesenspaß.
Aber plötzlich eine Clique zu haben war neu und machte mich sicher. Ich wusste nun, wohin ich gehörte, und fühlte mich aufgewertet. In Teheran zu sein, war jetzt nicht mehr ganz so sinnlos und eine einzige öde Lebenszeitverschwendung. Zum ersten Mal fühlte ich, da zu sein, wo irgendetwas passierte, was ich auch wirklich erleben wollte. Wir waren alle cool, hatten die richtigen Klamotten an und hörten die richtige Musik. Das reichte mir schon, um mich mit anderen amüsieren zu können.
Michael war jetzt mit einem anderen Mädchen, Gina, zusammen. Gina war mit ihrer älteren Schwester Tina in unserer Mädchenklasse, weil Tina einmal hängengeblieben war. Sie sahen beide fast gleich aus, lange schwarze Haare, helle Haut und grüne Augen, nur dass Tina im Gegensatz zu Gina kaum etwas sagte. Das Lustigste war, dass die beiden noch eine kleine Schwester hatten, die Mina hieß. Einfallsloser konnten Eltern nicht sein.
Die Armen waren gerade in diesem Jahr aus Deutschland zurückgekehrt, ein Jahr nach der Revolution. Der Vater war natürlich Arzt, die Mutter eine verwirrte Deutsche, die immer so aussah, als hätte sie sich im Dunkeln geschminkt.
Deshalb sprachen Tina und Gina so gut wie kein Wort Farsi, hatten von nichts eine Ahnung und wussten noch nicht einmal, dass man auf der Straße den Blick senkt, fremde Männer nicht anlächelt, wegschaut, wenn die einen anlachen. Sie waren ziemlich orientierungslos und leichte Opfer. Ein gefundenes Fressen für die Jungs.
Dann gab es noch Lucie. Lucie war so dumm und frühreif, dass sie mich faszinierte. Ihre Eltern waren beide Perser und angeblich getrennt, lebten aber trotzdem in einer kleinen Wohnung zusammen, schliefen in getrennten Zimmern und wollten nichts miteinander zu tun haben.
Lucies Mutter sah aus wie eine Nutte, sagte meine Mutter. Ich hatte nichts gegen Nutten, aber Lucies Mutter war trotzdem peinlich. Die langen, gelbblond gefärbten Haare, die mehrmals operierte Nase zusammen mit dem Hochzeits-Make-up waren nicht das, was ich mir unter einer Arztgattin vorstellte. Außerdem hatte sie immer lange, rotlackierte Krallen, vor denen ich mich fürchtete.
Und weil die arme Frau nicht wusste, was sie den ganzen Tag lang tun sollte, fuhr sie Lucie mit ihrem Renault überallhin, was wiederum den Nachteil hatte, dass sie immer dabei war, wenn Lucie mit uns abhing.
Ich fand die ständige Anwesenheit einer Mutter so ziemlich das Letzte, auch wenn es angeblich eine coole Mutter war. Es gab eigentlich keine coolere Mutter als meine, schon zu cool für meinen Geschmack, aber die da war auch gefährlich. Für mich war eine Mutter eine Erwachsene und hatte bei uns nichts verloren.
Noch ein Mädchen war erst dieses Jahr aus Deutschland zurückgekehrt: Parvaneh. Ihr Vater war der iranische Botschafter in der DDR gewesen, und man hatte ihn jetzt zurückgeholt, um ihn durch einen revolutionstreuen Analphabeten zu ersetzen.
Parvaneh war winzig klein, entsetzlich verwöhnt und eine nervige Prinzessin auf der Erbse, aber ohne Schloss. Sie hatte keinen Grund, sich so aufzuführen. Sie war weder hübsch noch konnte sie etwas, aber sie hatte einen Haufen älterer Geschwister und war das Nesthäkchen ziemlich alter Eltern. Ihr Vater war so alt wie mein Großvater, und die Eltern checkten nichts mehr. Außerdem vögelte sie heimlich mit ihrem Cousin. Sie vertraute es mir einmal an, nachdem der Cousin sie bei mir abgeholt und sich merkwürdig benommen hatte. Der Cousin hieß Mehdi, was definitiv ein Unterschichtsname war. Der Männerfriseur neben der Praxis meines Vaters in Karadj hieß auch Mehdi. In seinem Ladenfenster stand in gold-türkisen Buchstaben »Mehdi Barber Shop«.
Mehdi sah auch aus wie ein Mehdi, also ungefähr so wie jeder persische Cousin auf der Welt. Ich hätte kein einziges Wort mit ihm geredet, wenn er mein Cousin gewesen wäre, und sie ließ sich von ihm vögeln. Allein das war schon der Beweis, dass sie keine Prinzessin war. Jedenfalls kam dieser eklige Mehdi zu uns, um Parvaneh abzuholen, und er musste kurz warten, bis sie ihre Sachen im Garten zusammengesucht hatte. Und anstatt sich auf eine der Sitzgruppen in unserer Empfangshalle zu setzen und die Klappe zu halten, schlich er umher, öffnete jede einzelne der vielen Zimmertüren und glotzte hinein, als würde er etwas suchen. Er suchte herum, bis ihn die kalte Stimme meiner Mutter erschreckte, die ihn genervt fragte, was Mehdi Agha denn suchte?
Und dabei sah sie ihn so geringschätzig
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