Hinter der Milchstraße - Roman
schob, bis ich genug Platz hatte. Mein Hintern hing über die Kante, aber ich lag im Bett.
Ich sagte, ich hätte von den sehr alten Menschen geträumt und jetzt könne ich an nichts anderes mehr denken als an das, was ich im Krankenhaus gesehen hätte. An die Frau im Rollstuhl, an die Männer am Tisch und an die Frau, die sich den Löffel mit Kartoffelbrei quer durch den Hals gesteckt hatte.
»Mit solchen Gedanken kann ich nicht schlafen.«
»Dann such dir andere«, sagte Bossie mit dem Rücken zu mir. »Schöne. Mal unser Zimmer blau an. Tu, als würdest du in Milch schwimmen. Frag dich, wie es kommt, dass in Japan eine Kuh vom Himmel gefallen ist.«
»Ist in Japan eine Kuh vom Himmel gefallen?«
»Das habe ich doch nur als Beispiel gesagt«, sagte Bossie.
Sein Rücken glühte an meinem Arm.
»Du glaubst, dass man Angst haben einfach vergessen kann«, sagte ich.
»Ja«, sagte Bossie. »Das ist eine Frage der Übung. Dich sollte ich mit einer Rakete zum Mond schießen, für einen Spaziergang.«
Er wusste, was er sagte.
Es gab nur wenige Gedanken, die ich nicht aushalten konnte. Der eine war der von der Mitte der Nacht, der andere war der Gedanke an den Astronauten, der sich zufällig von der Raumkapsel löste und zwischen den Sternen verschwand.
Ich wusste, dass ich gut daran tat zu schweigen. Wenn Bossie Blut leckte, biss er zu.
Er rückte ein Stück zur Seite, nicht um mir Platz zu machen, sondern um mich nicht berühren zu müssen. »Wenn ich auf dem Rad sitze, springst du hintendrauf. Wenn ich irgendwo hingehe, läufst du mir hinterher.«
»Das ist es, was Brüder tun«, sagte ich.
»Dann versuch doch mal, etwas weniger Bruder zu sein.«
Ein paar Minuten blieb es still.
Ich schob mich vorsichtig näher zu Bossie. Ich flüsterte: »Komm. Wir müssen schlafen.«
»Müssen?«, sagte er.
»Ja«, sagte ich. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht sterben vor Müdigkeit.«
Das Bett wackelte, weil Bossie lachte.
Ich wagte es, ihn um eine Geschichte zu bitten – damit ich an etwas anderes denken konnte.
»Sie kann auch kurz sein«, sagte ich.
Bossie zögerte lange, ich hörte es an seinem Atmen.
Er sagte: »Habe ich dir schon mal von der Pitts S 2 B erzählt?«
»Die Pitts S 2 B?«
»Ein Flugzeug.« Er drehte den Kopf, damit ich seine Stimme besser hören konnte. »Eigentlich ein kleines Flugzeug. Es passen nur zwei Menschen hinein. Der Pilot sitzt hinten, der Passagier vorn. Das macht aber nichts. Wenn das Ding abstürzt, landet man zu zweit unter der Erde.«
Bossie drehte sich auf den Rücken.
Ich machte die Augen zu.
»Einmal stürzte eine Pitts S 2 B in Panama ab. Sie fuhren mit zwei Krankenwagen hin. Sie hatten es nicht eilig, es gab sowieso keine Hoffnung mehr. Als sie zu der Stelle kamen, fanden sie im Flugzeug den toten Piloten. Nur den toten Piloten. Da standen die Sanitäter mit der Trage zwischen sich. Sie schauten sich um, ob der Passagier vielleicht aus dem Flieger geschleudert worden war. Sie schauten auch, ob irgendwo ein Fallschirm in einem Baum hing. Nach ein paar Minuten bekamen sie eine gute Nachricht. Der Passagier war gefunden worden. Er lebte noch. Er saß in der Cafeteria des Flugplatzes und trank ein Glas Wasser. Er hatte eine Aspirin gegen Kopfschmerzen geschluckt. Wegen der Kopfschmerzen hatte er beschlossen, doch nicht mitzufliegen. Flieg du nur, hatte er zum Piloten gesagt. Flieg, mir tut der Kopf weh.«
Bossie lachte leise. »Ist das keine gute Geschichte?«, sagte er. »Du hast schreckliche Kopfschmerzen und stirbst nicht.«
»Ja«, flüsterte ich. »Ist das wirklich passiert?«
Ich hörte Bossie etwas murmeln, während er sich wieder von mir wegdrehte.
»Ist das wirklich passiert? Bossie?«
Mein Bruder atmete tief ein und aus. Beim Ausatmen prustete er leicht.
Die Geschichte von der Kuh, die vom Himmel gefallen ist, hätte mir besser gefallen, dachte ich. Wie hatten sie das Vieh überhaupt in die Luft bekommen?
Bossies Körper wurde schwer wie der eines Toten. Sein Prusten verwandelte sich in Schnarchen und Pfeifen. Er hatte viel Platz in den Lungen.
Um nicht an die Pitts S 2 B denken zu müssen, stellte ich um das Bett herum Kräne auf. Männer mit Schutzhelmen kamen herbeigelaufen. Ich ließ sie Japanisch sprechen und verstand alles, was sie sagten. Ich hörte sie auf Japanisch sagen: »Langsam hoch mit der Kuh, vorsichtig, ganz vorsichtig hoch mit der Kuh.«
AM MORGEN
»Mit wem hast du dich so früh verabredet?«, fragte mein Papa. Er schaute mich
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