Hinter Geschlossenen Lidern
einen Stuhl geworfen hatte, als ich mich umzog. Doch da war nichts, nur mein leeres Portemonnaie. Auch die Taschen meines Abendanzugs waren leer. Der silberne Geldclip, den Vater mir geschenkt hatte, war weg, samt Inhalt. Ich lachte bitter auf. Das ganze kam mir vor wie ein Albtraum, wie ein schlechter Witz. Nur langsam drang das ganze Ausmaß von Bradens dämonischer Dreistigkeit in mein Bewusstsein.
Durch sein plötzliches Auftauchen in unserer Wohnung hatte Braden mich so verwirrt, dass ich gar nicht mehr daran dachte, Scotts Nachricht auf meinem Laptop zu sichern. Als ich dann ohnmächtig auf der Couch lag, musste Braden alles durchsucht und das Handy in meiner Tasche gefunden haben.
Die ganze Nacht war eine einzige Charade gewesen, ausgedacht allein, um ihn zu amüsieren. Mich zu ficken, war für ihn nur eine angenehme Begleiterscheinung gewesen. Ich bedeutete ihm nicht mehr als ein Käfer, den er im Gras zertrat, ohne es überhaupt zu bemerken. Von Anfang an war ich nur ein Spielzeug, das er sofort bereit war wegzuwerfen, wenn es sich nur richtig für ihn lohnte.
Er hatte seine Macht über mich demonstriert und mich gedemütigt, bis er bekam, was er wollte. Meine Kreditkarten, ein bisschen Geld, aber vor allem Informationen. Und er besaß jetzt den einzigen Beweis, den wir gegen Brittany Brunnweiser in Händen hatten: das Handy mit dem Gesprächsmitschnitt, das Scott meinem Vater geschickt hatte.
Wegen dieser einen Nacht würde ich alles verlieren, was mir im Leben von Bedeutung war, meine Freundschaft zu Clive und den Respekt meines Vaters.
Schnell rief ich Stone noch einmal an und bat ihn, alles zu tun, um das Handy wiederzubeschaffen. Dann ließ ich die Kreditkarten sperren und duschte mich gründlich. Ich schrubbte meine Haut mit Clives harter Rückenbürste, bis sie krebsrot war und spülte alles immer wieder mit Wasser ab, das ich so heiß einstellte, wie ich es gerade noch aushielt. Trotzdem fühlte ich mich nicht viel weniger schmutzig, als ich mich schließlich anzog und losfuhr, um meinem Vater alles zu beichten.
Ms. Digsby zog wie immer die Augenbrauen hoch, als sie von ihrem Monitor aufschaute und mich erkannte. Doch dann runzelte sie die Stirn.
“Du siehst fürchterlich aus, Junge. Was ist passiert?”
Ihre ungewohnt mütterliche Besorgnis trieb mir schon wieder die Tränen in die Augen. Ich hatte das nicht verdient und hätte mich doch am liebsten in ihre Arme geflüchtet, um mich von ihr trösten zu lassen. Stattdessen musste ich mir eingestehen, dass Ms. Digsby die ganze Zeit Recht gehabt hatte mit ihrem Misstrauen mir gegenüber.
Sie nahm mein Schweigen mit einem ernsten Kopfnicken zur Kenntnis.
“Manchmal ist es besser, alles auf den Tisch zu bringen. Dein Vater ist nicht leicht zu verstehen. Er ist eben sehr verschlossen, aber er liebt dich mehr als alles andere auf der Welt. Egal was es ist, es wird sich schon wieder einrenken.”
“Das nicht.”
Sie sah mich lange an. Dann lächelte sie liebevoll und sagte etwas, was mich vor vierundzwanzig Stunden noch maßlos geärgert hätte:
“Du bist noch sehr jung, Lee. Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.”
In der Apathie, die sich meiner immer mehr bemächtigte, nahm ich es widerspruchslos hin. Sie hatte ja Recht. Was war nur in letzter Zeit mit mir los? War das die Liebe, die mich verwirrte und so verletzlich machte? Die Ereignisse schienen über mir zusammenzustürzen, überforderten mich und ich fühlte mich fast wieder so hilflos und dumm wie mit zwölf, als ich mit Braden in dem Waldstück hinter unserem Garten ein Feuer gemacht hatte, um einen Frosch zu rösten und dadurch fast einen Waldbrand verursacht hätte.
Ein Windstoß und es war geschehen. Wir versuchten, die Flammen mit unseren Jacken zu ersticken, aber sie loderten nur woanders noch höher auf, bis wir aufgaben und schließlich vor der riesigen Fackel einer Kiefer standen, die knisterte und krachte unter der Glut. Glücklicherweise stand sie ziemlich allein, war nur locker umgeben von Eichen, die weniger schnell Feuer fingen.
Dann war die Feuerwehr da und rettete uns vor der Katastrophe, die wir in unserem Leichtsinn heraufbeschworen hatten.
“Dein Vater ist noch unterwegs. Er müsste aber gleich kommen. Setz dich doch noch so lange.”, sagte Ms. Digsby schließlich und widmete sich wieder ihren Schriftstücken.
Ich war völlig fertig, fühlte mich wie ausgewrungen und durch den Fleischwolf gedreht. Meine Schläfen pochten so schmerzhaft, ich konnte kaum klar
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