Hinter Geschlossenen Lidern
Sie passten gut zusammen und ich hoffte nur, er würde der Beziehung auch wirklich eine Chance geben. So sehr die Liebe die Menschen auch manchmal verändert, Adams Austernschale hatte im Laufe der Jahre ziemlich viele Ringe angesetzt. Sie war so hart und verwuchert, dass er sie vielleicht nicht mehr öffnen konnte. Stand mir das auch irgendwann bevor, wenn Clive nicht wieder kam?
Anne jedenfalls verwirrte meinen Vater schon mit den ganz normalen Ansprüchen einer Frau, wenn es um eine ehrliche und vertrauensvolle Beziehung ging. Mit ihr wirklich offen zu reden, fiel ihm schwer. Aber das ließ er höchstens kurz mal bei einem Drink am Abend durchblicken.
Für mich war das wichtigste die Erkenntnis, dass mein Bruder durch einen Unfall umgekommen war und nicht durch Selbstmord. Wie sehr mich diese Dinge belastet hatten, merkte ich erst, als ich Gewissheit bekam und endlich wieder frei durchatmen konnte. Ich hatte regelrecht das Gefühl, dass mein Leben nun erst richtig begann. Jetzt konnte ich wieder nach vorne schauen. Wie schön wäre es gewesen, wenn ich das alles mit Clive hätte teilen können.
Zehn
“Ahh, die schönsten blauen Augen von Boston!”, flirtete Kurt, als ich im ‚Katarinas‘ vor dem Tresen bei ihm Platz nahm. Ich war nicht seiner Meinung. Clives Augen waren viel schöner, aber für mich war ja sowieso alles schön an ihm, sogar seine Narben und die immer noch etwas steife Schulter, die er sich damals beim Football gebrochen hatte.
“Einen Hemingway-Daiquiri wie immer?”
Ich nickte ihm zu. Ja, das war genau das richtige, wenn man etwas Aufheiterung gebrauchen konnte. Ich beobachtete Kurt, der mit ein paar schnellen geübten Handgriffen doppelt Rum, weiß natürlich, flamingo-roter Grapefruitsaft und Maraschino-Likör in einen Shaker mit zerstoßenem Eis gab. Seine langen, elfenbeinfarbenen Wimpern glitzerten dabei im Licht der Barstrahler wie ein Bündel Glasfasern. Auch er war schön. Dieser kleine Rosenblätter-Mund zum Beispiel, um den ihn jede Frau beneidet hätte ...
Es wäre so viel einfacher, könnte ich mich in ihn verlieben, dachte ich. Von Clives Starrsinn gab es bei ihm keine Spur. Aber mein Herz ließ sich nicht umstimmen und schließlich stand ich nun mal nicht auf Elfen.
“Wie geht’s denn so? Hab gehört, der Besitzer hat gewechselt.”, rief ich ihm durch den Lärm der Technomusik zu.
“Oh, Mann, das wusstest du nicht?” Kurt nahm den Shaker über seine Schulter und machte eine kleine Zeremonie daraus, ihn zu schütteln. Dann goss er mir die rosafarbene Köstlichkeit in eine hohe Schale, steckte eine leuchtendrote Maraschino-Kirsche dazu und stellte es mit einer eleganten Bewegung vor mir ab.
“Ist schon über ein Jahr her, dass der Laden renoviert worden ist und du hast das nicht gemerkt?”
Ich grinste schief. “Hatte anderes im Kopf.”
“Wo ist der nette Typ eigentlich, den du letztens bei dir hattest? Ich sehe ihn gar nicht mehr mit dir.”
“Ist schon wieder verjährt, die Sache mit ihm.”
Kurt lächelte mitfühlend und zeigte das süße Grübchen in seiner rechten Wange.
“Hab schon gemerkt, dass du einen Durchhänger hast. Sollen wir mal wieder mittags schwimmen gehen? Haben wir schon lange nicht mehr gemacht.”
“Wenn du nicht deine peinliche Bade-Ente mitbringst ...”, lächelte ich bedrückt. „Ehrlich gesagt, bin ich deswegen hier. Es soll heiß werden morgen. Wie wäre es mit unserem Strand? Ich hätte Lust, mal wieder ausgiebig mit dir zu reden, nicht wie hier zwischen zwei Bestellungen.“
“Klar, ich hab Zeit, kannst mir ruhig dein Herz ausschütten. Bei mir hat sich auch einiges getan. Siehst du den Typen dort, da hinten beim Durchgang?“
Ich nahm einen Schluck von meinem Daiquiri, fischte die Cocktailkirsche heraus, lutschte darauf herum und sah mich dabei unauffällig um. Hinter all den Leuten auf der Tanzfläche fiel mir ein Mann auf, der im Armani-Anzug über dunklem T-Shirt am Durchgang zu den hinteren Räumen des Clubs stand und alles aus dem Hintergrund zu überwachen schien.
Unsere Blicke trafen sich für einen Moment und ich wusste sofort, dass er genau Kurts Typ war, groß und durchtrainiert, aber keine übertrieben aufgepumpten Bodybuilder-Muskeln. Sein goldblondes Haar war nach hinten gegelt und wirkte dunkler, als es wohl in Wirklichkeit war. Der gefährlich schöne Adlerblick, beschattet von kräftigen Augenbrauenbögen, fuhr mir direkt in meine Geschlechtsteile, wo er trotz oder gerade wegen meiner Sehnsucht nach Clive einen
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