Hinter Geschlossenen Lidern
damit auf die Narbe auf seiner Brust. “Das kleine Teil kann mir jeden Moment das Licht ausblasen. Da ist mir meine Gesundheit so ziemlich egal, weißt du?”
“Bist du deshalb da?”
Er nickte. “Weil ich Sehnsucht nach dir hatte. Wenn dir der Tod jeden Morgen beim Rasieren ins Gesicht grinst, überlegst du dir, was wichtig ist im Leben.”
Das war einleuchtend und romantisch, nur klang es nicht nach ihm. Ich glaubte ihm nicht. Für so etwas war er viel zu zynisch. Was er da von sich gab, war für ihn doch nur billigstes Klischee. Weshalb war er wirklich hier?
“Du wolltest mir etwas erzählen.”
“Bist ganz schön hartnäckig, Kleiner. Und du willst das wirklich hören?”
Ich nickte. “Ich muss endlich Gewissheit haben.”
“Gewissheit – was für ein großes Wort.” Er hob mein Kinn zu sich empor. “Ist das nicht ein wenig naiv? Sieh mir in die Augen! Woher willst du wissen, dass ich dich nicht anlüge?”
Ich sah in sein glattes, unbewegtes Gesicht und mir wurde klar, Clive hatte Recht gehabt. Es würde für mich nie eine Wahrheit geben.
“Selbst wenn ich dir Sicherheiten geben könnte ...“, fuhr er fort. „Nach all den Jahren – nein, ich glaube, ich will nicht, dass du es erfährst, ohne dass du noch eine letzte Prüfung bestanden hast. Du musst warten, nur noch ein wenig warten. Erst der Tod bringt die Wahrheit ans Licht.”
“Ich soll auf deinen Tod warten?”, fragte ich entsetzt. Wie schrecklich war das denn?
Er ließ mich los, richtete sich auf und nahm einen Zug aus seiner Zigarette.
“Du wirst einen Brief bekommen.”, warf er gleichgültig hin.
“Was soll das heißen?”, kreischte ich auf. Mir wurde endgültig klar, ich hatte mich von ihm erniedrigen lassen für nichts und wieder nichts. In blinder Wut schlug ich auf Braden ein. Er hob nur abwehrend die Arme und lachte, was mich noch wütender machte.
“Sag mir die Wahrheit, du Mistkerl!”, schrie ich ihn an.
Er kicherte und bog sich unter mir, als würde ich ihn mit meinen Schlägen nur kitzeln. “Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit ...”.
Sein kindischer Singsang reizte mich zur Weißglut und ich schlug so hart zu, wie ich konnte, bis ich erschöpft und keuchend von ihm abließ. Befriedigt bemerkte ich die roten Flecken auf seiner Haut, die ich hinterlassen hatte. Und dann dämmerte es mir plötzlich.
“Du bist Schuld an dem Unfall, stimmts? Deshalb kannst du es mir nicht sagen. Ich hatte so eine Ahnung und es ist tatsächlich so – du bist einfach abgehauen, hast Adam seinem Schicksal überlassen.”
Braden wurde ernst. “Zu der Zeit lag ich bereits im Militärjeep und wurde nach Süden verfrachtet, schon vergessen?”
“Woher willst du dann wissen, was passiert ist?”
“Siehst du, da ist es wieder, unser Problem. Du glaubst mir nicht.” Er winkte ab und steckte sich eine neue Zigarette an, blies mir den Rauch ins Gesicht, dass ich zurückwich.
“Lass es einfach und warte auf den Brief.”
Neun
Es war kurz vor vier Uhr morgens, als ich hinaus auf die Straße torkelte. Ein steifer auflandiger Wind fegte durch die Gasse und blies mir die salzig-kalte Gischt des Hafenbeckens ins Gesicht. Es war ein Schock nach der halben Flasche Wodka, die ich mir unten im Lokal aus Frust noch hinter die Binde gekippt hatte, während ich den gelangweilten Frauen auf der Bühne zusah, wie sie sich auszogen.
Ich schlug den Kragen des Jacketts hoch und ging auf die Suche nach einem Taxi, denn der Anruf bei der Zentrale hatte nichts gebracht. Sie versprachen, einen Wagen zu schicken, dachten jedoch gar nicht daran. Es war mitten in der Nacht und das Viertel ziemlich verrucht. Ich hatte vergeblich gewartet und dann beschlossen, auf eigene Faust nach einem fahrbaren Untersatz zu suchen.
Doch es war nichts zu machen. Die Gegend lag still und verlassen da. Die letzten Freier waren weg und bald würden die ersten Fischer zur Arbeit aufbrechen. Doch jetzt begleitete mich nur der Mond durch die verschatteten Gassen. Bis auf die graugetigerte Katze, die bei meinem Anblick ihre Beute im Stich ließ, an der sie herumgekaut hatte und sich zwischen ein paar Mülleimern in Sicherheit brachte, begegnete mir niemand. Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen.
Ich dachte an Clive und betete, dass er zurückgekommen war und mir noch einmal verzieh. Wenn ich mir klar machte, was ich für diesen Arsch von Braden aufs Spiel gesetzt hatte, konnte ich kaum noch atmen vor Angst.
Letztendlich musste ich die ganze Strecke vom Hafen, den Fluss hinauf bis zu Clives
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