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Hinter Geschlossenen Lidern

Hinter Geschlossenen Lidern

Titel: Hinter Geschlossenen Lidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Waters , Carolin Wagner
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Augenblick
lag er horizontal in der Luft. Im nächsten landete er, ohne
sich abfangen zu können, krachend auf der Seite. Ich hörte
den dumpfen Aufprall, das Knacken seines Brustkorbs
durch den strömenden Regen bis in den Strafraum. Ein
normaler Mensch hätte sich alle Rippen gebrochen. Doch Ragnarson stand keine Zehntelsekunde später wieder auf den Beinen und hechtete dem Ball hinterher, der vom Netz abgeprallt war. Er begrub ihn unter sich im Schlamm, dass es spritzte.
Als er sich erhob, war sein Gesicht schwarz vom Dreck. Nur die diese Bernstein-Augen glühten mir drohend daraus entgegen – richtig unheimlich. Da gab es nichts zu deuten, er nahm das persönlich. Mit meinem Tor hatte ich mir den Zorn des Wikingers zugezogen. Ab jetzt ging es hart auf hart. Eine zweite Chance würde er mir nicht geben
– nur über seine Leiche.
Ich glaube, wir atmeten alle auf, als endlich der Schlusspfiff ertönte. Es war kein Ausscheidungsspiel. Die Rückrunde würde die Sache entscheiden, also blieb es beim Unentschieden.
Für Ragnarson war es eine Niederlage. Ich sah ihn im Tor stehen, gegen den Pfosten gelehnt, den Kopf gesenkt. Ich ließ ihm Zeit, wartete vor dem Strafraum auf ihn, um ihm die Hand zu schütteln. Er streifte seine Handschuhe ab, schlug sie ein paar Mal gegen die mächtigen Oberschenkel, um den gröbsten Dreck davon zu entfernen. Jeder der dicken Muskelstränge zeichnete sich unter der nassen Haut aus dunklem Trikot deutlich ab.
Der Regen hatte nachgelassen, aber der Sonne gelang es nicht ganz, sich durch die Wolken zu kämpfen. Trotzdem wurde es immer heller. Ragnarson sah zum Himmel empor, schloss die Augen, als wäre das Licht zu viel für ihn.
Er wusste die ganze Zeit, dass ich da war, denn plötzlich fiel sein Blick direkt auf mich. Langsam kam er auf mich zu. Im Gehen zog er sich das Trikot über den Kopf. Sein Körper dampfte in der kalten Luft und die zähen Muskeln unter seiner nordisch bleichen Haut glänzten im fahlen Licht bläulich wie Stahlplatten.
Dann war er bei mir. Seine schiere Präsenz, seine mächtigen Schultern, seine Größe ... er überragte mich deutlich um fast einen Kopf, dabei war ich nicht gerade klein. Ich schluckte krampfhaft. Benommen zog ich mir das Shirt aus, das mir unangenehm auf der Haut klebte und gab es ihm. Er starrte mir auf die nackte Brust, murmelte etwas Unverständliches. Dann blickte er mir direkt in die Augen und sagte in kehlig rauem Englisch:
“Du schuldest mir Revenge. Ein paar Pokerrunden ... wir machen das unter uns aus.”
Ich nickte, er nickte und wendete sich zum Gehen.
“Ich ruf dich an.”, rief er mir noch zu und hielt sich die Hand mit abgespreiztem Daumen und Zeigefinger an die Wange. Dann war er weg.
Ich stand da, sein Trikot in der Hand und starrte ihm nach, wie er auf die Kabinen zuging. Ich wusste selbst nicht, was da gerade abgelaufen war – oberflächlich gesehen eigentlich gar nichts. Aber da war unleugbar diese seltsame Spannung zwischen uns. Es kribbelte in meiner Handfläche und ich ballte die Hände zu Fäusten.
    Kim erwartete, dass ich anrief, ihr wie immer berichtete, wie es gelaufen war. Ich war lange verletzt gewesen und sie machte sich bestimmt Sorgen. Doch im Hotel war mein einziger Gedanke, mir die Klamotten vom Leib zu reißen und ins Bett zu fallen. Untertrainiert wie ich nach der Verletzungspause und dem leichten Aufbautraining war, hatte mich mein kurzer Einsatz völlig erledigt. Zwei Stunden Schlaf bis zum Abendessen und der unvermeidlichen Abschlussbesprechung mussten reichen, um wieder klar zu kommen. Hartmann würde toben. Ein Unentschieden gegen die Norweger! Scheiße, dachte ich niedergeschlagen und schloss die Augen. Doch der Schlaf kam nicht. Mein Herz pochte schwer, wollte sich nicht beruhigen. Ich konnte das Adrenalin in meinem Blut rauschen hören.
    Der Anruf kam, als ich gerade weggedöst war. Ich kämpfte mich aus dem Schlaf, der bleiern hinter meinen Augenlidern lag und setzte mich auf. Der Klingelton nervte. Mit schweren Gliedern schleppte ich mich zum Stuhl und wühlte das Handy aus meiner Hosentasche, sah frustriert auf die Uhr. Schon halb zehn. Das musste Hartmann sein, der mich nach unten rief. Verdammt, ich hatte nicht die geringste Lust auf die unvermeidliche Standpauke.
    “Ja?”, meldete ich mich mürrisch und war eine Sekunde später hellwach.
Dag Ragnarsons tiefe Stimme fuhr mir in die Glieder.
“Wie bist du an meine Nummer gekommen?”, keuchte ich.
Er lachte nur, gab mir eine Adresse am Hafen.

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