Hinter verzauberten Fenstern
sagte Julia, während sie eine lange Steintreppe hinunterstiegen. »Ist euer König nett?«
»Nett schon«, sagte Jakobus. »Aber er ist schon sehr alt und furchtbar vergesslich. Außerdem kümmert er sich mehr um sein Schloss als um seine Untertanen. Dauernd baut er ein neues Stockwerk dazu oder einen neuen Turm. Deshalb verlauf ich mich hier auch immer wieder. Warte mal.« Sie hatten die Treppe hinter sich und standen nun in einer riesigen Halle, von der unzählige Gänge in alle möglichen Richtungen führten.
»Verflixt!« Jakobus kratzte sich seine Perücke. »Welcher war es denn nur?«
»Da vorne steht ein Schild ›Zum Thronsaal‹«, sagte Julia.
»Oh, das ist neu«, meinte Jakobus erleichtert. »Na, endlich mal eine gute Idee in diesem verrückten Schloss.«
Nach zwei endlos langen und endlos hohen Fluren, drei Treppen und vielen weiteren Schildern waren sie immer noch nicht am Ziel. Julia bekam langsam müde Füße.
»Jakobus?«, fragte sie. »Muss ich irgendwas sagen vor dem König?«
»Nur, wenn du willst. Ich werde es übernehmen, dich vorzustellen. Warte mal«, er sah sich um, »ich glaube, jetzt sind wir gleich da.« Die Teppiche unter ihren Füßen wurden dicker und kostbarer, und an den Wänden hingen Bilder in Goldrahmen.
»Wer ist das alles auf den Bildern?«, fragte Julia.
»Alle Könige, die dieses Land bisher gehabt hat.«
»Die sehen ja alle gleich aus«, sagte sie. »Das denk ich auch immer!« Jakobus kicherte. Sie kamen an eine mächtige Treppe.
»O nein, nicht schon wieder eine Treppe!«, stöhnte Julia und warf einen müden Blick hinauf. »Guck mal, Jakobus!«
Eine wieselflinke, kugelrunde Gestalt stürmte die unzähligen Stufen hinunter direkt auf sie zu. Sie hatte mindestens zehn Hüte auf dem Kopf und wedelte furchtbar aufgeregt mit den Armen.
»Jakobus!«, rief sie. »Da bist du ja endlich!«
»Wer ist das denn?«, fragte Julia und kicherte.
»Hör bloß auf zu lachen«, flüsterte Jakobus. »Das ist der Türsteher des Königs, und er versteht überhaupt keinen Spaß.«
»Na gut.« Julia biss sich schleunigst auf die Lippen. Der Türsteher hüpfte wie ein Tischtennisball die letzten Stufen hinunter und machte prustend und keuchend vor ihnen Halt.
»Na endlich, Jakobus!«, japste er. »Der König wartet auf dich, seit dein Ballon gesichtet wurde. Du weißt doch, er wartet nicht gerne. Wen hast du denn da bei dir?«
Julia warf dem dicken Kerl einen ärgerlichen Blick zu.
»Sie heißt Julia, und alles Übrige werde ich dem König sagen«, meinte Jakobus.
»Wie du willst«, sagte der Türsteher beleidigt. »Hier sind eure Hüte.«
»Wieso Hüte?«, fragte Julia. Der Dicke warf ihr einen verächtlichen Blick zu. »Um sie vor dem König zu ziehen, natürlich«, erklärte er. »Der König schätzt das sehr.«
»Ach so«, murmelte Julia und nahm ihren Hut entgegen. Er war golden mit einer blauen Feder dran. Sie fand ihn ziemlich scheußlich, aber sie setzte ihn gehorsam auf.
Der Türsteher musterte sie von oben bis unten und nickte dann. »Na ja, mit dem Hut geht es.«
»Ich denke, der König sieht sowieso nichts!«, rutschte es Julia heraus. Der Türsteher hob seine Augenbrauen, bis sie unter seiner Perücke verschwunden waren.
»Jakobus, deine Begleiterin ist ziemlich unverschämt!« Jakobus warf Julia einen warnenden Blick zu.
»Sie meint es nicht so«, sagte er und setzte sich seinen Hut auf. »Komm, wir wollen den König nicht warten lassen.« »Richtig!« Der dicke Türsteher schenkte Julia einen giftigen Blick.
»Folgt mir.«
Dann begann er mit seinen kurzen, krummen Beinen die Stufen wieder hinaufzusteigen.
Na, das kann ja heiter werden!, dachte Julia und stieg hinterher.
6. Kapitel
»Jakobus, der Erfinder, und seine Begleiterin Julia!«, rief der Türsteher und knallte die riesige Thronsaaltür hinter den beiden zu. In dem großen Saal wurde es totenstill, und alles starrte die beiden Besucher an. Jakobus machte ein paar zierliche Schritte nach vorn und zog seinen Hut.
»Eure Königliche Hoheit«, sagte er und verbeugte sich. Julia schielte aus den Augenwinkeln zu ihm hinüber und machte alles genau nach.
»Tretet näher!«, rief der König. Jakobus schritt mit wehendem Mantel auf den Thron zu, und Julia machte, dass sie hinterherkam. Sie gingen über einen breiten, tomatenroten Teppich. Zu beiden Seiten standen Hunderte von Männern und Frauen und starrten sie neugierig an. Julia versuchte, nicht auf sie zu achten, und blickte nach vorne zum Thron.
Auf einer
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