Hintergangen
durchaus möglich, dass sich eine von ihnen durch eine große Geldzahlung hat verleiten lassen. Ich lasse die Vernehmungstermine gerade arrangieren, und wir müssen so viel wie möglich über Mirela Tinescy herausbekommen. Ajay ist an der Sache dran.«
»Was meinen Sie, würde der alte Hugo mit einer von seinen Prostituierten schlafen?«
»Nun, viele Männer machen das, obwohl ich persönlich es nie in Betracht gezogen habe. Vielleicht hat Hugo es als Sonderzulage oder Leistungsanreiz angesehen.«
»Tom – das ist abscheulich. Ich fasse es nicht, dass Sie so zynisch sein können.«
Er schaute auf Beckys angewidert gekräuselte Stupsnase. Wenn sie wie er über Hugos Neigungen Bescheid wüsste, würde sie es als regelrecht normal ansehen, dass Hugo mit den Exprostituierten der Stiftung schlief.
Becky führte Tom ins Esszimmer, wo sie mit Lauras Erlaubnis ein provisorisches Büro eingerichtet hatte. Die Wände des Raumes waren mit einer schlammfarbenen Tapete verkleidet, und eine Wand war beinahe vollständig mit einem riesigen ausgeblichenen Wandteppich behängt. In der Mitte des Zimmers stand der größte Esstisch, den Tom je gesehen hatte und an dem bestimmt dreißig Leute Platz gehabt hätten. Anderes Mobiliar gab es nicht, nur einen enormen steinernen Kamin und schwere Samtvorhänge. Noch so ein anheimelnder Raum eben.
»Verdammter Mist! Haben Sie denn nichts Fröhlicheres gefunden, Becky? Und wieso wollen Sie am oberen Tischende sitzen? Das ist doch ewig weit bis zur Tür.«
»Genau. Das heißt, was ich auf dem Bildschirm habe, kann ich in aller Ruhe schließen, bevor ungebetene Zuschauer bei mir sind. Ich trau den dreien nicht, Tom. Ich mag sie – aber selbst wenn sie nicht schuld sind an Hugos Ermordung … irgendwas verbergen die. Vor allem Imogen. Die weiß viel mehr, als sie vorgibt. Das sehe ich ihr an.«
Tom wusste, dass sie natürlich recht hatte. Becky hatte heute etwas von einer Bulldogge an sich, ihr hübsches Gesicht zeigte Entschlossenheit und Eifer. Ihm war klar, was sie dachte – dass er zu langsam vorging. Doch sie hatten keinerlei Handhabe und schon gar nichts Konkretes, das entweder Laura oder Imogen belastete. Es war nicht einmal eine Frage von Indizienbeweisen. Es gab überhaupt keine Beweise.
»Ehrlich gesagt werde ich nicht schlau aus der ganzen Geschichte. Ich muss denen mehr auf die Pelle rücken. Warum ist es eigentlich so kalt hier drin, Becky? Ist denn die Heizung nicht eingeschaltet?«
Tom hatte sich zum Autofahren die Jacke ausgezogen und schlüpfte jetzt schnell wieder in die Ärmel. Er hielt nicht so viel von Anzügen, doch die gehörten einfach zum Job, und jetzt brauchte er alles, was irgendwie Wärme bot.
»Sie werden sich schon dran gewöhnen. Ich dachte eigentlich, ihr Nordländer würdet mehr aushalten«, grinste Becky. »Na, während ich hier herumgehockt und allmählich mein bisschen Verstand verloren habe, konnte ich ein bisschen was über Rohypnol herausfinden. Ich junges Küken hatte eigentlich gedacht, das Zeug hat es schon ewig gegeben, aber die erste Spur, die ich im Internet finden konnte, stammt von 1999. Als verschreibungspflichtiges Medikament ist es anscheinend schon viel länger verfügbar, aber damals wurde es zum ersten Mal als Date-Rape-Droge identifiziert. Der Massenvergewaltiger Richard Baker war hierzulande der erste aktenkundige Benutzer, beziehungsweise User, wie man eigentlich sagt. Der wurde nach einer im Fernsehen ausgestrahlten Fahndungssendung gefasst. Der Wirkstoff heißt Flunitrazepam und ist zehnmal stärker als Valium. Allgemein natürlich bekannt als K.-o.-Tropfen. Laut Internet – das lese ich jetzt lieber vor – ist es ein ›hochwirksames Betäubungsmittel mit stark sedativen, anxiolytischen, amnestischen‹ – was immer das ist – ›und muskelentspannenden Eigenschaften‹. Laura hat gemeint, Hugo hätte es ihr wahrscheinlich ebenfalls verabreicht, aber nicht, um sie zu vergewaltigen. Der Sache sollten Sie noch mal nachgehen, Tom.«
»Werde ich auch, wenn ich das Gefühl habe, dass sie mir die Wahrheit sagen will. Sie ist sehr geschickt im Umgehen von Fragen, und sie damit zu bombardieren bringt nichts.«
Becky funkelte ihn grimmig an. Er wusste, sie war ungeduldig und wollte diese Sache genauso angehen, wie sie eine Verkehrsschlange attackierte – hemmungslos und ungerührt, ob dabei ein paar Leute stinksauer reagierten. Er war sich sicher, dass das bei Laura zu nichts führte. Er musste ihr Vertrauen
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