Hintergangen
hatte. Jemandem sagen zu müssen, dass seine Lieben tot waren, war schon schrecklich genug, doch das hier war eine vollkommen andere Erfahrung für sie. Die Nachrichten, die Tom für Laura mitbringen würde, wären sicher die allerschlimmsten, und sie konnte sich nicht annähernd vorstellen, was Laura gerade durchmachte.
Tom hatte ihr von seinen Gesprächen mit Mirela erzählt und sie auch darüber informiert, was die Kollegen in Dorset auf der Lytchett Minster Farm bei ihrer Suche erwarteten. Doch hatte er sie gebeten, es Laura nicht zu sagen – das wollte er selbst tun. Der muss ja eine masochistische Ader haben, wenn er solche Nachrichten überbringen will, dachte sie nur. Gott sei Dank blieb es ihr erspart.
Sie hatte Stella bereits davon abhalten müssen, den Fernseher einzuschalten, aus Angst vor dem, was da womöglich zum Vorschein kommen würde, und hatte jetzt schreckliche Schuldgefühle, weil sie Laura zuvor verdächtigt hatte. Inzwischen war eigentlich klar, dass Tom die ganze Zeit recht gehabt hatte, als er sagte, der Schlüssel zu dem Fall seien bestimmt die Allium-Mädchen. Und sie hatte ihn nur bedrängt, Laura noch mehr zuzusetzen. Imogen war noch nicht aus dem Schneider, doch wenn alles stimmte, was Tom ihr gesagt hatte, bekam Becky unweigerlich das Gefühl, dass wer auch immer Hugo umgebracht hatte, der Menschheit damit einen Dienst erwiesen hatte.
Ihre Gedanken wurden vom Klingeln ihres Handys unterbrochen. Sie nahm es aus der Tasche und schaute auf das Display.
»Hallo«, sagte sie leise. »Alles okay?« Auch in seiner Laufbahn war dieser Tag bestimmt einer der schlimmsten gewesen.
Tom klang müde und resigniert, als er ihr mitteilte, er sei auf dem Rückweg und gleich bei ihnen und ob sie das Laura auch sagen könne?
»Natürlich, Tom. Ich glaube aber, die wollen, dass ich gehe. Was soll ich machen? Die wissen nicht, was sie mit mir anfangen sollen. Ich habe mich zu ihnen in die Küche gesetzt, das scheint ihnen aber nicht so recht zu sein, und Laura hat mir schon mindestens fünfmal gesagt, ich kann gehen, sie hätte ja alle nötige Unterstützung. Momentan hänge ich bloß hier im Esszimmer herum.«
Sie hörte Tom zu, riet ihm noch, vorsichtig zu fahren, und legte auf. Er klang erschöpft, und die freudige Erregung von vorhin, dass eins der Mädchen wohlbehalten gefunden worden war, war nun überschattet von all dem, was sie wohl vorfinden würden.
Becky ging zur Küche, wo alle versammelt waren. Kein Ton war von außen zu hören, doch sie wusste, dass sie dort drin waren. Leise klopfte sie an die Tür, und es war Beatrice, die laut »Herein« rief, als wäre sie hier immer noch zu Hause. Doch niemand schien sich daran zu stören.
»Tom hat gerade angerufen, Laura. Er ist unterwegs, müsste in etwa einer Viertelstunde hier sein. Er hätte früher angerufen, war sich aber nicht sicher, wann er es schaffen würde. Er will Sie persönlich über den neuesten Stand informieren.«
Laura hob Becky ihr blasses Gesicht entgegen und versuchte zu lächeln.
»Danke, Becky. Gehen Sie doch wieder in Ihre Pension, wir schaffen das schon, bis Tom herkommt.«
Becky fand, sie sollte dableiben, aber Tom hatte gesagt, falls Laura es noch einmal vorschlage, solle sie gehen.
»Kann ich noch irgendwas für Sie tun?«, fragte sie.
»Alles okay«, erwiderte Laura. »Aber vielen Dank, dass Sie so lange geblieben sind.«
Becky wollte gerade antworten, das sei doch ihr Job, verkniff es sich aber. Es war nett gemeint von Laura, die innerlich bestimmt sehr aufgewühlt war. Laura war überhaupt nicht so, wie sie anfangs gedacht hatte, und Becky wünschte, sie könnte ihr Mitgefühl irgendwie ausdrücken. Doch dann nickte sie nur allen zu, ging hinaus und machte leise die Tür hinter sich zu.
Unterwegs zu ihrem Wagen stellte sie überrascht fest, dass ihr Gesicht tränennass war. Becky war sonst eigentlich nicht so nah am Wasser gebaut, diesen Tag aber würde sie nie vergessen.
A ls Tom endlich eintraf, öffnete Laura ihm die Tür, und beide schauten einander lange an. Aus unerklärlichen Gründen fühlte Laura tiefe Scham – als wäre sie persönlich verantwortlich für all die schmutzigen Enthüllungen, die Tom bestimmt gleich machen würde. In seinem Blick konnte sie aber nur Mitgefühl und Erschöpfung ausmachen. Wortlos zog sie die Tür weiter auf, um ihn hereinzulassen.
»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Die Warterei muss Ihnen ja endlos vorgekommen sein. Keine guten Nachrichten,
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