Hintergangen
schätzte er sie auf etwa sechzig. Becky redete beruhigend auf sie ein. Tom beschloss, sich im Hintergrund zu halten und die Sache ihr zu überlassen.
»Beryl, Sie waren uns wirklich eine große Hilfe. Es war bestimmt ein schrecklicher Schock für Sie. Wir müssen allerdings unbedingt Lady Fletcher finden. Können Sie uns da weiterhelfen?«
Tom war etwas überrascht, als er den Titel hörte. Er hatte ganz vergessen, dass Hugo Fletcher für seine karitativen Aktivitäten geadelt worden war. Was die britische Ehrenliste betraf, war er nicht besonders gut auf dem Laufenden.
»Arme Alexa! Sie hatte ihren Daddy ja so lieb, wissen Sie.«
»Beryl, ohne es Ihnen schwer machen zu wollen – aber wir können es Alexa erst sagen, wenn wir Lady Fletcher benachrichtigt haben.«
Beckys hübsches Gesicht lief leicht rosa an, was Tom als Frustration deutete.
»Da sollten Sie Rosie fragen – die wird wissen, wo sie ist.«
»Wer ist Rosie, und wie kann ich sie erreichen?«, fragte Becky leicht genervt.
»Rosie Dixon – eine von Sir Hugos Sekretärinnen, die kümmert sich um alle Termine und so. Ihre Nummer steht in dem roten Buch im Büro. Probieren Sie es erst mal auf ihrem Handy, so wie ich Rosie kenne, ist sie nämlich bestimmt bei Harvey Nicholson Wäsche kaufen. Soviel ich weiß, ist sie da täglich stundenlang. Wieso er sich das bieten lässt, keine Ahnung.« Beryl merkte, dass sie von Fletcher in der Gegenwartsform gesprochen hatte, und machte ein erschüttertes Gesicht.
Allerdings war jetzt keine Zeit, sie zu trösten. Tom wandte sich zur Treppe und eilte wieder zurück ins große Büro. Becky bat die Polizistin, sich um Beryl zu kümmern, und folgte ihm.
»Rosie Dixons Nummer hab ich«, sagte er ein paar Minuten später. »Können Sie sie anrufen, Becky, sie soll ganz schnell herkommen. Und fragen Sie, ob sie weiß, wie wir Laura Fletcher am schnellsten erreichen können.«
Tom ging zum Hauseingang, wo der DCS mit dem Polizisten sprach, der als Erster am Tatort gewesen war. Kurz darauf kam Becky, ein Blatt Papier schwenkend, aus der Tür gerannt und rief: »Hat geklappt, Sir! Rosie ist unterwegs, wir brauchen also einen, der mit ihr redet. Und ich habe herausbekommen, wo Lady Fletcher ist. Rosie sagt, sie müsste heute Nachmittag eigentlich aus ihrem Haus in Italien zurückkehren, Ankunft demnächst in Stansted. Wir müssen sie abfangen.«
Tom blieb kurz stehen, um den DCS auf den neuesten Stand zu bringen, und folgte Becky dann hinaus. »Okay, das können wir vom Auto aus organisieren – auf zu ihr, bevor die Nachricht durchsickert.«
2. Kapitel
B ecky tat ihr Bestes, um so schnell wie möglich auf die M11 zu gelangen. Sie versuchte, sich auf die vor ihr liegende Straße zu konzentrieren, um das komplizierte Gespräch auszublenden, das ihr Chef da anscheinend führte, doch das war unmöglich. Vor allem, weil sie die durchdringende Stimme eines äußerst ungehaltenen weiblichen Wesens am anderen Ende der Leitung hören konnte.
Das Gespräch endete abrupt, und sie hörte, wie DCI Douglas bedächtig ausatmete, während er sich gegen die Kopfstütze zurücklehnte. Sie riskierte einen kurzen Blick und sah, dass seine Augen geschlossen waren. Zum ersten Mal bemerkte sie an ihm eine gewisse Traurigkeit und dass die Haut um seine Augen leicht bläulich war, als hätte er nicht gut geschlafen. Sie verspürte den seltsamen Drang, seine Hand zu ergreifen und sie beruhigend zu drücken. Eine lächerliche Vorstellung! Reiß dich zusammen, sagte sie sich und überlegte, wie sie das Schweigen brechen sollte, doch er ersparte ihr die Mühe.
»Tut mir leid, Becky. Wäre mir lieber gewesen, Sie hätten das nicht gehört.«
»Schon gut, Sir. Tut mir leid für Sie, ehrlich.«
»Unter diesen Umständen können wir uns die Formalitäten eigentlich schenken. Sagen Sie Tom, wenn wir unter uns sind. Schließlich haben Sie gerade gehört, wie mich meine Exfrau zusammengestaucht hat, sodass ich mich noch mehr wie ein Schweinehund fühle als sowieso schon.«
»Das Privileg der Exfrau, Sir – Verzeihung, Tom. Meine Mum hat meinen Dad auch andauernd angeschrien.«
Tom lächelte verlegen. »Dass sie sauer ist, kann ich ihr ehrlich gesagt nicht verdenken. Ich sollte heute eigentlich meine Tochter abholen, damit sie zum ersten Mal, seit ich in London bin, bei mir übernachtet. Wir hatten uns beide schon drauf gefreut.«
»Ich bin sicher, Ihre Tochter versteht das«, sagte Becky.
»Lucy ist erst fünf. Sie weiß bloß, dass sie
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