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Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)

Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)

Titel: Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin Colfer
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dem UN -Stützpunkt in Beirut. Ich wollte widerstehen, aber in Kriegsgebieten klammert man sich an Erinnerungen. Also zahlte ich zehn Dollar und nahm das Taschenbuch mit, außerdem ein paar Ausgaben von Will Eisners The Spirit . Mir gefiel The Fountainhead ganz gut, und ich merkte, dass Paddy Costello seine komplette Ich bedaure nichts -Rede daraus geklaut hatte. Ich begriff, dass sich Großvater für ein ebenso prinzipientreues Genie hielt wie Rands Architekt Howard Roark.
    Als mir das klarwurde, lachte ich, bis mir Tränen über die Wangen liefen und mir der Typ im Stockbett obendrüber drohte, mich mit seinem Kissen zu ersticken. Natürlich konnte ich nicht auf Kommando aufhören, und es gab ein bisschen Hickhack, vielleicht habe ich sogar jemandem die Schulter ausgerenkt.
    Ob Sie’s glauben oder nicht, aber ich erinnere mich gerne an Granddad; dadurch kann ich vor mir selbst rechtfertigen, warum ich ihn über den Tod hinaus verachte.

    Jedenfalls schiebt uns Edit in das Apartment, in dem sämtliche Spuren von Paddy Costello durch Zeug ersetzt wurden, das auch Howard Roak gutgeheißen hätte. Ich verstehe nicht viel von modernem Design, aber ich wette, die meisten Einrichtungsgegenstände hier stammen von einem skandinavischen Unternehmen, das nicht IKEA heißt, und die Kunst an den Wänden wirkt so stumpfsinnig und düster, dass sie ein Vermögen gekostet haben muss.
    Evelyn ist jetzt völlig neben der Spur, normalerweise würde sie sich um diese Zeit mit Doppelkorn auf die Beine helfen und sich auf ein zünftiges Besäufnis vorbereiten, aber sie hat jetzt schon seit mehreren Stunden keinen Drink mehr angerührt und leidet. Edit führt uns über einen endlos langen Gang in ein Gästezimmer, dessen Renovierung wahrscheinlich mehr Geld verschlungen hat als die Sanierung meines kompletten Clubs. Aber hübsch ist es. Geschmackvoll. Schokoladenbraune Teppichläufer auf goldfarbenen Holzdielen und ein Doppelbett in denselben Farben schräg in der Ecke.
    Ich lege Evelyn auf das Bett, und sie wimmert ein bisschen, bettelt um einen Drink, und ich muss unwillkürlich daran denken, wie sie früher einmal war.
    Wie nennt man das?
    Aufgeweckt.
    Jetzt ist sie eine Säuferin, und Säufer haben alle dieselbe Persönlichkeit, sind gleichzeitig gerissen und erbärmlich. Evelyn macht den Eindruck, ziemlich durch den Wind zu sein, und mir schießt durch den Kopf, dass dieses wunderschöne Zimmer schon bald aussehen könnte, als sei ein Dixi-Klo darin explodiert.
    »Ihr geht’s nicht gut«, sage ich zu Edit. »Sie pfeift auf dem letzten Loch. Das wird eine harte Nacht werden.«
    Edit setzt sich aufs Bett und nimmt Evelyns raue Hand in ihre manikürten Finger, und allein diese kurze Momentaufnahme verrät mir eine Menge darüber, wie unterschiedlich beide Frauen die letzten zehn Jahre verbracht haben.
    »Der Arzt ist unterwegs, Evelyn. Er wird dir helfen.«
    »Ein Drink«, nuschelt Evelyn. »Ich bin doch eine gottverfluchte Erbin, nicht wahr?«
    Nicht wahr? Evelyns vornehmer Manhattan/Hamptons-Akzent schlägt schneller wieder durch, als Sheas Erziehung akustisch abhandenkam.
    »Natürlich bist du das«, sagt Edit beruhigend und schließt Evelyn fest in die Arme, stört sich nicht an der schmutzigen Kleidung ihrer Stieftochter oder am sauren, abgestandenen Gestank der Alkoholikerin. »Alles wird gut.«
    Bei mir hatte das nach einem Knallbonbonspruch zu Weihnachten geklungen, aber als Edit mit ihrer melodischen Stimme dieselben Worte formuliert, scheint sie die reine Wahrheit zu verkünden. Ich will es glauben.
    Kann denn alles wieder gut werden? Ist das überhaupt möglich?
    Edit bietet Evelyn zwei leichte Beruhigungspillen an, und Evelyn futtert sie ihr aus der Hand. Einen Süchtigen wird man niemals fragen hören: Was ist da drin? Ob es einen umbringt oder heilt, spielt eigentlich keine Rolle, Hauptsache, die Welt wird in weicheres Licht getaucht. Der bloße Umstand, dass sie sich eine Droge einverleibt, wirkt schon beruhigend auf meine Tante, und sie legt sich aufs Bett, beschimpft uns freundlich als Arschlöcher, dann nickt sie ein und schnarcht durch die Nase, die aussieht, als wäre sie seit unserer letzten Begegnung mindestens einmal gebrochen worden.
    Erst jetzt gestattet sich Edit, die eigenen Schultern ein klein wenig hängen zu lassen, und Besorgtheit zeigt sich in ihrem Blick.
    »Ich habe schon Leute gesehen, die sich von Schlimmerem wieder erholt haben«, sage ich. »Sie hat noch alle Zähne, das ist ein gutes Zeichen.

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