Hinterher ist man immer tot: Roman (German Edition)
ohne Netzempfang. Mein Unterbewusstes hat aber das Kommando übernommen und ein paar rote Flaggen entdeckt, weshalb es wie ein Taucher ohne Sauerstoffzufuhr Notsignale an mein Bewusstsein sendet, um an die Oberfläche gezogen zu werden.
Ich höre ein Kreischen, das von einem großen Vogel stammen könnte, vielleicht eine besondere Amazonas-Spezies, und mein Körper wird energisch durchgeschüttelt. Reite ich auf einem riesigen Amazonas-Vogel? Kann das sein? Wie konnte es dazu kommen? Ich höre auf, mir wegen des Vogels Sorgen zu machen, als ich merke, dass ich nicht atmen kann. Stellen Sie sich vor, wie panisch unser Freund, der sauerstofflose Taucher, reagieren würde, sollte er an die Oberfläche gelangen, nur um festzustellen, dass sich auch in der Atmosphäre keine Luft zum Atmen findet. So fühle ich mich jetzt. Panik und Schmerz treiben mich an. Wieso wusste ich es nicht zu schätzen, damals, als ich noch frei atmen konnte und keine Schmerzen hatte?
Meine Lider öffnen sich, erlauben meinen Augäpfeln anzuschwellen und hervorzutreten. Bitte keine Fotos. Ich befinde mich auf dem Rücksitz eines Wagens, der auf die seitlichen Begrenzungstonnen der Autobahn zuschleudert. Das Kreischen ist das Protestgeheul der vier Reifen, die für Seitensprünge nicht gemacht sind. Vor mir sehe ich zwei vertraute Hinterköpfe, deren Besitzer panisch aufschreien und sich gegenseitig wie zwei Kindergartenmädchen im Sandkasten verhauen. In den rechten Seitenfenstern hängt die Kühlerhaube eines Hummer, der uns gerammt hat. Ich weiß nicht mal mehr, wer mich jetzt umbringen will. Vermutlich sämtliche Insassen beider Fahrzeuge.
Aber es ist mir auch völlig egal. Erst mal will ich nur atmen. Witzig ist das schon lange nicht mehr. Warum kriege ich keine Luft?
Ich taste mit einer meiner gefesselten Hände an meine Kehle und merke, dass mir der Sicherheitsgurt auf den Adamsapfel drückt.
Wahrscheinlich schnürt dir der Gurt die Kehle zu, du Genie.
Und warum bin ich gefesselt? Habe ich das Buttons zu verdanken? Der Gurt sitzt so fest auf meiner Brust wie ein Pflaster, und ich kriege keinen Finger drunter, deshalb befinde ich mich jetzt in einem Dilemma: angeschnallt bleiben und ersticken, oder abschnallen und beim Aufprall sterben. Ist das Murphy’s Law oder Hobson’s Choice oder ganz einfach nur eine ausweglose Situation? Die Übergänge sind fließend. Murphy’s Law hat was mit Kartoffeln zu tun, da bin ich mir sicher. Aber wenn diese Pechsträhne anhält, wird man mir zu Ehren wahrscheinlich eine eigene Bezeichnung erfinden müssen, selbstverständlich posthum.
Daniels Dilemma.
Klingt gut.
Hat was.
Scheiß drauf. Ich muss atmen. Meine Finger greifen nach der Gurtschnalle, aber die Entscheidung wird mir abgenommen, als der Wagen in die Absperrung knallt, selbige platter drückt als ein Wohnzimmertischchen im zerlegten Lieferzustand, und mit so viel Wucht Wasser durch die Ritzen presst, dass die Seitenfenster bersten. Der Sicherheitsgurt hält, schneidet mir aber durch die Kleidung ins Fleisch. Meine Hemdtasche geht in Flammen auf, und ich verstehe nicht warum, bis mir das Streichholzbriefchen wieder einfällt, das ich eingesteckt habe, um Zeb und mir die Zigarren anzuzünden, die wir uns regelmäßig gönnen, wenn wir mal wieder eine weitere Woche überlebt haben.
Ist das Aufflammen der Streichhölzer jetzt irgendwie symbolisch? Scherben und Wasser regnen auf mich herab, was weh tut, aber wenigstens auch das Feuer löscht.
Irgendwie hat alles immer auch sein Gutes.
Ich werde vom Gurt festgehalten, kriege aber immer noch keine Luft. Verdammt noch mal. Lasst mir doch endlich meine Ruhe. Gott, Buddha, Gandhi, Aslan. Egal. Als der lädierte Wagen endlich zum Stehen kommt, fällt mir plötzlich wieder ein, dass ich Hände habe. Ich löse endlich den Gurt, rutsche über den Rücksitz und schnappe gierig nach Luft, was sich anfühlt, als würde ich Glas schlucken, aber das ist mir egal. Mein Gehirn war kurz davor, den Geist aufzugeben, und ich habe keine überschüssigen Hirnzellen mehr, die zu verlieren ich mir leisten könnte. Ich atme erneut, diesmal tiefer, und spüre, wie die Panik von mir abfällt. Verwirrung füllt das Vakuum.
Was geschieht hier? Welcher Teil meines Lebens ist das?
Bin ich in Irland, im Libanon oder in Jersey?
Ich weiß nicht ganz genau, wer die Männer vorne sind, aber ich denke, dass sie mir ans Leder wollen, deshalb bin ich froh, dass sie sich nicht bewegen und ihre Köpfe in riesigen Airbags
Weitere Kostenlose Bücher