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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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… Wie wäre es, wenn Sie dort an der Tür sitzen
     würden, sagte sie, ich bringe Ihnen ein weiches Polster, Sie bekommen auch einen Teller grüne entkernte Oliven und Weißbrot.
     Wie wäre es, wenn Sie mir noch eine Weile Gesellschaft leisten? Keine Angst, von mir geht keine Gefahr aus. Sie sollen mich
     auch nicht beschützen. Wollen Sie? … Der harte Boden tut mir gut, sagte ich, das Polster brauche ich für meinen Rücken … Dann
     aß ich das Brot und die Oliven, ich achtete darauf, daß das Öl nicht auf die Dielen tropfte, und wenig später schlüpfte ich
     aus den Schuhen.
    Ihre Geschichte, natürlich hatte sie mich gebeten zu bleiben, damit sie einem komischen Mann die Geschichte einerkomischen Frau erzählen konnte: Dreimal die Woche ging sie mit Männern ins Bett, sie bezahlten sie für eine Stunde, für die
     ganze Nacht, und weil sie wählerisch war, durften die Kunden keine Hängebäuche haben, sie hielten sie für irgend jemanden,
     sie hielten sie für irgendeine Studentin, sie hielten sie für irgendeine geschiedene Ostdeutsche, und weil sie keine Auskünfte
     über sich gab und sich nur außerhalb mit ihnen traf, in Hotelzimmern in Westberlin, hielt die Treue der Männer zu ihr an,
     der eine liebte sie bei Tage, der andere mochte es am späten Abend, und der dritte hatte keine festen Zeiten, es war, als
     blätterte sie in einem Bilderbuch und sähe auf jeder Seite Spiegelbilder ihrer natürlichen Umgebung: Zu der Stunde einen abgestreiften
     Rock, zur anderen Stunde herabgefallene Notizzettel, sie beschrieb sie, wenn ihr unterwegs ein Einfall kam, wenn sie einem
     Gespräch in der U-Bahn lauschte, wenn sie einfach nur ihre Hände ihre Finger ihre Handgelenke beschäftigen wollte; dieses
     Bilderbuch also, und es gab eine besondere Seite, auf der drei schwarzbraune Hengste auf der Koppel, ganz hinten am Gatter,
     beieinanderstehend abgebildet waren, sie rührten sich nicht, ihre Hälse berührten sich leicht, Pferde waren so schön nackt,
     und deshalb schlug sie oft, im Abendrot des Tages, im Abendrot, da die Fliegen verschwanden, diese Seite auf. Auf einer anderen
     besonderen Seite aber sah man ihre Füße auf der Sofapolsterkante, unten auf dem Boden eine ausgebreitete Doppelseite aus der
     Zeitung, dort lag ein einzelner verzupfter Wattebausch auf dem Kassenbon, der Nagellackentferner war in den Kassenzettel gesickert
     und hatte hellgraue Flecken eingeätzt, dieses Bilderbuch also, darin blätterte sie immer dann, wenn sie von fremden Männern
     angefaßt wurde – war sie ein kitschiges Mädchen?
    Man könnte Sie für eine Ostdeutsche halten, sagte ich, und früher … früher hat man uns doch auch in Mädchen und Jungen eingeteilt,
     später hießen wir Frauen und Männer … Daskann stimmen, sagte sie, in diesen Hotelzimmern in Westberlin erlebe ich keine Abenteuer, das wäre gelogen, ich werde aber
     auch nicht eines Schlechteren belehrt, diese Stundenliebe, die keine Liebe ist, bringt mich nicht unter die Erde, aber man
     klettert doch auch nicht über den Zaun und schleicht sich zu den Pferden, um ihre nackten Körper zu streicheln. Hast du mal
     ein Pferd gestreichelt? … Nein, sagte ich, ich denke immer, sie beißen die Hand, in der ein Zuckerwürfel liegt, ich habe Angst
     vor Pferdemäulern … Viel zu lange hatte ich mich bei ihr aufgehalten, meine Füße waren längst getrocknet. Blieb, wo ich war,
     blieb sitzen. Sackte zur Seite, der Schlaf überrumpelte mich, und mein letzter Gedanke: Aus meinem Menschentag sind Menschentage
     geworden.
    Hatte sie mich im Gesicht berührt, als ich auf meiner tauben Seite schlief, hatte sie den Traum verscheucht, in dem der Daumen
     einer gespreizten Hand leicht ganz leicht meine Haarsträhne entlangfuhr? Als ich erwachte, hielt sie sich keine zwei Schritte
     von mir entfernt. Fertiggeschminkt. Der Lidschatten im Bronzeton. Stift und Papier auf dem Holzfußboden, das Zimmerlicht eingeschaltet,
     es war doch taghell, es war der Spätmorgen. Ich schwieg, weil sie schweigen wollte. Nach der Tasse Kaffee, nach der butterbestrichenen
     Brotscheibe: Erst dann zog sie die Vorhänge auf. In ihrem Haus Nummer hundertzweiundsechzig strahlte das Licht auch dann,
     wenn man die Nacht überlebt hatte. Sie schwieg Regenwolken herbei, weißgrau gescheckter Himmel. Und ich erschrak, als sie
     plötzlich zu reden anfing, ihre Pläne für die nächsten Stunden schlossen mich ein: Krauskopfpelikan. Schönhörnchen, auf der
     Astgabel schnarchend.

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