Hinterland
du, lüg mich bloß nichtan, sonst hole ich Mladen, und er kämmt dir zwei Seitenscheitel in die Haare. Ich stamme aus Föhr, sagte Robert, das ist
eine Insel im Norden. Ich hatte es satt, überall von Wasser umgeben zu sein, da bin ich hergezogen. Findest du es spießig,
arbeiten zu gehen? sagte Cora … Nein … Heute sind zu viele seltsame Dinge passiert, sagte Cora, eine Gaspistole ist in meiner
Nähe losgegangen, ein tätowierter Junge hat mich verknallt angestarrt, ich bin auf seiner Wade abgebildet, und zu guter Letzt
steigst du mir in die Wohnung. Ich frag’ dich gar nicht, ob du schnipsen kannst, du siehst mir eher wie einer aus, der nicht
für Feinarbeit zuständig ist. An der U-Bahn-Station Eberswalder Straße ist ein Zeitungskiosk, Akuna Matata steht ganz groß
auf der giftgrünen Markise, und eines Tages habe ich den Besitzer gefragt, ob das der Name seines afrikanischen Vaters wäre,
natürlich hat ihm meine Frage nicht gefallen, aber er wußte, das ist kein böses Weib, das sich über ihn lustig macht. Akuna
Matata ist Suaheli und bedeutet: Kein Problem. Ist der Aufregung nicht wert. Lassen wir es doch ruhig angehen. Holen wir tief
Luft. Es gibt wichtigere Sachen, um die wir uns kümmern sollten. Der Kioskhändler hat noch andere Bedeutungen aufgesagt, und
ich weiß nicht, ob er sich einen Spaß mit mir erlaubt hat – kannst du dir das vorstellen? Akuna Matata. Es ist, als hätte
man in seiner Kulturtasche einen Koffer voller Kleider verstaut. Akuna Matata, das klingt wie … wie Zungenrollen auf ausländisch.
Oder wie leichtes Händeklatschen. Wie das erste Mal zaubern, man zieht aber nicht einen weißen Hasen aus dem Zylinder, man
zieht, ja, was eigentlich, man zieht bunte Seidentücher heraus, Tücher, die miteinander verknotet sind. Tücher, die erst in
der Luft segeln, bevor sie auf den Boden fallen. Akuna Matata. Zwei Worte, sechs Silben – perfekt. Was habe ich also in den
letzten zehn Minuten gemacht? Zu den Silben geschnipst. Das erste Wort muß man langsam beschnipsen, das zweite schnell, und
wenn man dabei die Augenschließt, denkt man, es sind die Anfangstakte eines Lieds, das die Erstkläßler besonders gerne singen. So. Ich bin kaputt,
du hast mir die Nacht versaut …
Und sie erzählte, daß sie im Verzug wäre, die beiden Angestellten würden auf sie warten und die Budapestbar nicht, wie von
ihnen verlangt, aufschließen, so lebten sie eine halbe Stunde auf ihre Kosten, sie finanzierte ein paar Taugenichtse des Viertels
und füllte Dutzende Besiegte ab, Robert in Fesseln schaute auf und äußerte den Wunsch, als freier Mann neben ihr hergehen
zu wollen, er würde mit Putzen, Tresen- und Tischewischen, und seinetwegen auch mit Tellerwaschen, seine Schuld abtragen.
An meinem Menschentag verließ ich mein Haus Nummer fünfundzwanzig, fünf Stockwerke, ich lebte in der zweiten Etage, keine
großen Sorgen, das meiste gelingt auf Anhieb nicht, aber beim übernächsten Versuch, Bockwurst in netter Umgebung essen, das
war mein Fest an jedem Tag. Die meiste Zeit behielt ich mein Leben im Zimmer, Fenster schließen, und Lärm war ausgesperrt,
mein Leben war mein Haustier, das ich fütterte, ohne daß jemand stehenblieb und einen Tadel aussprach. Zum Bockwurstessen
ging ich raus und lief schnell zurück, ein Zimmer mit Kühlschrank, Bett und umgelegten Umzugskisten, die Öffnung freundlicherweise
mir zugewandt. Darin Hemden Hosen Zeug. Dienstag war Menschentag. An diesem Dienstag lebte ich dem Unwetter entgegen, ich
roch die Luft, und die Luft umgab mein Leben. Schaute ich nach rechts, blickte ich auf lange Straßen, schaute ich nach links,
sah ich gute Leute vor Gebäuden. Meistens. Heute kam mir wer entgegen? Ein Irrer, er trug eine kurze Sporthose und darüber
einen Damenslip – widerlich. Ich ziehe die Irren an, dachte ich, wenn sie besonders verstört waren, erinnerten sie sich an
meinen Menschentag, machten sich fein, stürzten ins Freie, um nicht mehr heimlich zu toben in der privatenGummizelle. Für sie alle, für die Irren, war ja gesorgt, man verschrieb ihnen Ruhigsteller, die sie absetzten, sie liefen
frei herum, ohne Freiheit im Kopf.
Die Bockwurst aß ich schnell auf, erst die Wurst, dann das Brötchen, heute bekam ich ohne eine höfliche Bitte ein Glas Leitungswasser,
in dem Kalkstücke schwammen. Da stellte sich ein verstörter Kerl neben mich und sagte: Die Huren lehne ich ab, und andere
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